RejsenTilAmerika_1912

CHICAGO gängen, und schon nach dem ersten Liede, das die wackeren Barden erschallen Hessen, war die Kapazität der Halle erschöpft. — Die freude­ strahlenden Gesichter der Hörerschaft, die sinnig dekorirte Halle und der markige Gesang dieser Nordländer konnten nicht verfehlen, eine fest- freudige, von w ahrer Herzenslust überquellende Stimmung zu kreiren. Die dänischen Sänger haben uns mit gravirenden Lettern wieder die Thatsache eingeimpft, wie innig Poesie und Musik mit Herz und Empfindung verwachsen sind. Die sangeslustigen Sprossen vom Stamme der Teutonen haben uns in ihren gestrigen Demonstationen dargethan, dass das germanische Volk das liederreichste und zugleich das gemiiths- tiefste und gefühisinnigste auf dem ganzen E rdenrunde ist. Noch klingen die herrlichen Töne, die uns durch H aydn’sche Schöpfung in der Muttersprache erst vorgestern so eindruchsvoll überm ittelt wurden, in uns fort mit ihrer ganzen Macht der E indrucksfähig­ keit, und gestern wieder sollten diese Gefühle der germanischen Stammverwandtschaft durch die bezwingenden Liederspenden d er d ä­ nischen Akademiker in unzweideutigster Weise in uns aufgerüttelt und zum Strahlen gebracht werden. Wenn auch die Söhne des n o r­ dischen Stammes der germanischen Rasse sich grösstentheils ihrer intimeren Muttersprache in der tonlichen Ausdrucksform bedienten, so wurde durch ihre Interpretationen doch unendlich überzeugend d a r­ gethan, dass der Ton weit über das W ort hinaus das auszudrücken v er­ mag, was die Musik in vollen Zügen in dem Hörer und Sänger erweckt; die herrlichen Gesänge dieser dänischen Studenten haben über alle Zweifel den Beweis erbracht, dass das Lied den nationalen Typus, die nationalen Sitten und E ig en tüm lichke iten eines Volkes in treuester und tiefster Weise po rträtirt. Wenn schon der preussische Kultusm inister H err von Gossler seiner Zeit behauptete, dass man aus der Art und Pflege des Liedes den Kulturzustand eines Volkes zu b e u rte ile n imstande sei, so dürfte dem skandinavischen Volksstamme ein ehrendes Prognostikon auszustellen sein. Dessen Liederspenden sind glühende Reflexe eines hohen Kulturstandes, sind enthusiastische Verkünder eines inhaltreichen Seelenlebens und eine Schatzkammer edelster G em ütsaffektionen. Ihr Gesang erschien uns wie ein Zauberhorn, das die mannigfachsten inneren Stimmungen pro- klam irt. Da findet man M u t, Kraft, Hoffnung, Freude, Liebe, Vater­ landsliebe, Sehnsucht, und ein ganzes Heer von Empfindungen aus­ gesprochen. Die edlen Sänger entboten eine Reihe von wunderbaren Liedern, Lieder, die der zeitweiligen Bllithe des Volksgesanges, sowie dem frischen, mächtigen Impuls der Burschenschaftsbestrebungen entsprossen, Lieder, mit denen die Namen von Joh. Hartmann, Joh. Barttioldy, H. E. Kröyer, P. Heise, Fr. Pacius, Lange-Müller, P. Hellmuth, Grieg, Nielsen u. A. eng verbunden sind. In allen ihren Vorträgen offenbarten sie eine raffinirte Denk- und Empfindungsweise, hohe Intelligenz und gesunden Verstand, alles Punkte, die in die obersten Kunstgesetze eingreifen. Ihre Tongabe ist frei und edel, ihre Tonqualität von sympathischem Schmelz genährt. Wildes Loslegen und sinnloses Interpretiren w aren do rt u n ­ bekannte Erscheinungen. Rhythmische Schärfe und Ebenmass in der dynam ischen Behandlung sind andere wohlthuende Merkmale ihres Vor- tragsstyls. Die Auswahl ihrer Lieder war eine überaus dankbare. W enn auch alle gleich effektvoll wiedergegeben wurden, so gefielen doch ganz besonders die skandinavischen Volksweisen, das dänische Volkslied:

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