Cellitinnen 3_2018_finale_Version 30.7.2018
Kultur | Freizeit
Für Sie gelesen TYLL von Daniel Kehlmann
Der historische Roman ‚Die Ver- messung der Welt‘ von Daniel Kehlmann sorgte im Jahr 2005 für großes Aufsehen. Die humorvoll und intelligent geschriebene Ge- schichte des Mathematikers Jo- hann Carl Friedrich Gauß und des Naturforschers und Weltreisenden Alexander von Humboldt brachte den Lesern das fiktive Innenleben sowie das Schaffen dieser beiden
historischen Figur Leben einhaucht. Doch wer glaubt, eine Biografie der mittelalterlichen Schelmenfigur Till Eulenspiegel zu lesen, der irrt: Tyll Ulenspiegel, der Protagonist des Romans, wird von Kehlmann in das 17. Jahrhundert ‚gedichtet‘. Als Sohn eines Müllers geboren, muss er als Kind aus seinem Dorf fliehen und beginnt ein Leben als geschickter und dreister Gaukler. Er hält seine Mitmenschen zumNarren und ist doch selbst eine gebroche- ne Persönlichkeit, die schon allzu viel ertragen musste. Der gebeutelte Protagonist bewegt sich dabei innerhalb einer noch viel größeren Geschichte – der des Dreißigjährigen Krieges. Vermeint- lich im Namen des Glaubens, doch vor allem zum Zwecke des Macht- erhalts, wird von allen Seiten ge- schossen, gefoltert, und gehängt. Es geht um nichts weniger als die Vorherrschaft im ‚Heiligen Römi- schen Reich Deutscher Nation‘. Von 1618 bis 1648 wüten die Heere der habsburgischen Herrscher aus Österreich und Spanien sowie die der Franzosen, Niederländer, Däne- marks und Schwedens in der Mitte Europas und hinterlassen eine Spur der Verwüstung und des Elends. Tyll Ulenspiegel begleitet im Verlauf des Romans auch eine Zeit lang den glücklosen Pfalzgrafen und Kurfürs- ten der Pfalz, Friedrich den V., der eine Schlüsselfigur dieses Krieges und als sogenannter ‚Winterkönig‘ nur ein Jahr lang König von Böh-
men war. Jener kann nicht fassen, dass niemand ihm beim Versuch, die Kurwürde zurückzuerlangen, zur Seite steht – außer Tyll, dem Narren. Der König stirbt schließlich an der zu dieser Zeit immer wieder grassierenden Pest und Tyll bleibt nichts andres übrig, als weiterzu- ziehen. Der Leser folgt und staunt. Szenen auf den Schlachtfeldern zwischen den Kriegsfronten und in Söldnerlagern erzählt Kehlmann in einer erschreckenden Unmittelbar- keit. Den Geruch des Todes und der Verzweiflung meint der Leser man- ches Mal wahrnehmen zu können. Tyll ist keinesfalls eine leichte Kost. Doch verleitet die kunstvolle Erzähl- art des Autors dazu, weiterzulesen, einzutauchen und sich mit dieser allzu absurden ‚Kriegs-Welt‘ aus- einanderzusetzen. Auch wenn die Schelmenfigur Eulenspiegel fak- tisch nicht in diese Epoche gehört, scheint sie doch sehr gut in jene Zeit der Glaubenskriege zu passen. Es lohnt sich also, dieses knapp 500 Seiten starke Buch zur Hand zu nehmen.
bedeutenden Persönlichkeiten des 18./19. Jahrhunderts nahe. Das Buch war der Durchbruch für den damals 30-jährigen Autor.
TYLL von Daniel Kehlmann Gebundene Ausgabe: 480 Seiten Verlag: Rowohlt ISBN-10: 3498035673 Preis: 22,95 Euro
Mit TYLL hat Kehlmann nun wieder einen Roman vorgelegt, der einer
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CellitinnenForum 3/2018
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