Blickpunkt Schule 1/2021

Lehrerdasein in der Pandemie ’Halbvoll’ reicht – volle Klassen gehen nicht D ie Dynamik der viralen Pan- demie beschert uns einen bisher unbekannten Kontroll- von REINHARD SCHWAB Vorsitzender des Hessischen Philologenverbandes

Editorial

Die Rubrik Leserbriefe ist in dieser Ausgabe gut gefüllt. Das zeigt das In- teresse unserer Leserschaft am Aus- tausch, gerade in diesen Zeiten, in de- nen Präsenzveranstaltungen reihen- weise abgesagt bzw. gar nicht erst an- gesetzt werden. Erfreulich war die starke Resonanz auf meine Gedanken zu den Formen ’gegenderter‘ Sprache. Sie stießen vielfach auf Zustimmung. Der seit Jahren betriebene ’gendergerechte‘ Umbau der deutschen Sprache wird von vielen mit Skepsis und Ablehnung beobachtet. Der Genderstern, ein sprachliches Genderzeichen, wurde von dem Lin- guisten Peter Eisenberg (in einem Bei- trag der F.A.Z. vom 8. Januar 2021) als »sprachlicher Gesslerhut« bezeich- net. Das Sprachbild macht deutlich, dass Ideologen ohne Sachverstand agieren. Soziale Verhältnisse ändert man nicht durch Herumwerkeln an der Grammatik. Das Virus verlangt uns viel ab – Tag für Tag. Es geht nur mit Flexibilität, mit etwas Pioniergeist und Improvisa- tionskunst. Besinnen wir uns darauf, dass ein freundlicher Umgang mit- einander die Lage erträglicher macht. Lassen Sie uns auf das Positive, Konstruktive schauen, auf die Stärken unserer Profession, auch wenn die Be- lastungen unübersichtlich, gefährlich unberechenbar geworden sind und immer wieder in Überlastungen aus- arten. Wenn wir Motor des Fortschritts sein wollen und sollen, dann müssen wir als Verband unseren Dienstherrn in die Pflicht nehmen. Ein einheitli- ches Handeln im Bildungsbereich wä- re ein erster Schritt, der für alle im Kampf gegen die Pandemie Beteilig- ten eine gewisse Verlässlichkeit sig- nalisieren würde. Trotz aller Einschränkungen wün- sche ich Ihnen für das neue Jahr viel Energie und vor allem Gesundheit! Ihr Reinhard Schwab

verlust. Wir spüren, dass wir unsere Realität und Handlungen nur sehr be- dingt steuern können. Auch wenn die pandemischen Entwicklungen schwer einzuschätzen sind, müssen für unse- re Praxis Lösungen her, und zwar Lö- sungen, die vorausschauend für die nächsten Monate gelten und ein ge- wisses Maß an Sicherheit sowie Ver- bindlichkeit geben und verhindern helfen, dass uns der Schulalltag ent- gleitet. Mit einer Entspannung der La- ge aufgrund einer Impfimmunität in der Bevölkerung dürfen wir leider in Bälde nicht rechnen. Als Lehrkräfte leben wir in einer Zeit der zunehmenden Arbeitsverdichtung mit regelmäßigen Limiterfahrungen. Nervig und mit einem hohen Zeitauf- wand verbunden ist Distanzunterricht, wenn technische Probleme und insta- bile digitale Möglichkeiten uns aus- bremsen, zum Beispiel Lernplattfor- men zusammenbrechen. Bei allem Verständnis ist es zudem wenig hilf- reich, wenn Eltern davon ausgehen ’Unterricht‘ erwarten zu können, aber über eine Flut von Arbeitsblättern kla- gen. Auch Eltern sind am Bildungs- prozess beteiligt. Besorgnis löst auch die beeinträch- tigte Lernentwicklung in der Schüler- schaft aus, denn die ausgesetzte Prä- senzpflicht bzw. der Distanzunterricht

in Schulen über einen längeren Zeit- raum bleibt nicht ohne Schäden für die Bildungsbiografien und die soziale Teilhabe der Kinder und Jugend- lichen. Verantwortung fühlen, dieser aber nicht oder kaum gerecht werden kön- nen, stürzt auch gestandene Lehrer- persönlichkeiten in Selbstzweifel und Identitätskrisen. Ein Hochfahren des Schulbetriebs kann es im Februar nur stufenweise geben, die Halbierung gemäß Wech- selmodell dürfte sich als Königsweg empfehlen. Volle Klassen können wir uns in der aktuellen Situation schon gar nicht leisten! In den Hintergrund gedrängt wur- den Themen wie die herausfordernde Leistungsstreuung in den Klassen, die Schnittstellenproblematik am Über- gang 4/5, die Verwässerung der Schulstrukturen, die Bildungsidee in Kompetenzrastern, mangelnde Ver- gleichbarkeit der Abiturnoten, die drohende ’Entakademisierung‘ des Lehrerberufs, um nur einige Punkte zu nennen.

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Bild: Halfpoint/AdobeStock

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