CF_4_2021
MENSCHEN
Was ist ihre persönlich Moti- vation, sich für Geflüchtete im Ausland einzusetzen? Wir in Deutschland sind sehr privilegiert, haben genug zu es- sen, leben in gesicherten Ver- hältnissen und haben eine gute medizinische Versorgung. Durch den Einsatz in Athen hatte ich die Chance, etwas zurückgeben zu können.
Welche Begegnung ist Ihnen besonders in Erinnerung ge- blieben?
Herr Delmé-Netteau, wer waren Ihre Patienten? In unseren ‚Kliniken‘ in erster Linie Flüchtlinge – selten Ob- dachlose und Drogenabhängige bei unserer Hilfe auf der Straße. Unser jüngster Patient war ein drei Monate alter Säugling – ein Mann war 85 Jahre alt. Wie muss man sich die medi- zinische Versorgung vor Ort vorstellen? Sprachbedingt sehr schwierig und nur für jene zu erreichen, die versichert sind. Das grie- chische Gesundheitssystem ist bereits geschwächt. Die zusätz- liche Mehrbelastung durch die Flüchtlinge sprengt häufig die Kapazitäten. Gab es bei der Behandlung Schwierigkeiten mit Sprache oder Kulturdifferenzen? Die Kommunikation wurde uns durch sehr kompetente und en- gagierte Dolmetscher ermög- licht. Zu Kulturdifferenzen kam es vor allem bei der Behandlung von Frauen. Die Entkleidung und weitere Untersuchungen waren oft problematisch. Medizinisch sind die Menschen je nach Her- kunft nicht so gut aufgeklärt wie hier. Damit sie lernen, sich lang- fristig selbst zu helfen, haben wir beispielsweise Kurse in Ers- ter Hilfe oder gegen chronische Schmerzen organisiert.
Schön, aber schwierig war im- mer die Versorgung der Kinder vor Ort. Zu sehen, wie sich die Kleinsten in ihrer Situation be- haupten können, hat mich be- eindruckt. Besonders traurig war eine Begegnung mit einem Patienten, der uns in einem Erstgespräch seine tragische Geschichte von Gewalt, Fol- ter und Vergewaltigung anver- traut hat. Als Nicht-Psychiater habe ich gemerkt, dass ich hier an meine Grenzen stoße. Die große Dankbarkeit der Patien- ten hat mich sehr berührt. Aus Deutschland ist man das eher nicht gewohnt.
Vielen Dank für das Gespräch! (V.K.)
Helfen Sie mit! Spenden – ob groß oder klein, sind über die Website des Vereins möglich: https://medical-volunteers.org
Kollegen von Medical Volunteers International in Athen sortieren Medikamente und medizinische Produkte
Foto: Carl Declerck
CellitinnenForum 04 | 2021
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