Mitteilungsblatt 7/2019, 26. September 2019

EDITORIAL

Editorial

In der Schieflage

Gabriele Regina Overwiening Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe E-Mail: praesidium@akwl.de

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

es gibt Themen, Herausforderungen und Fragestellungen, die hartnäckiger sind als der berüchtigte Kaugummi unter der Schuhsohle: Man wird sie einfach nicht los, zumindest nicht so einfach. In einer ganz ähnlichen Situation befindet sich Gesundheits- minister Jens Spahn. Als Vertreter einer jungen, dynamischen, von der Digitalisierung geprägten Politikergeneration hat er sich seit Amtsantritt als Gesundheitsminister mit dem im Ko- alitionsvertrag vorgesehenen Versandhandelsverbot für ver- schreibungspflichtige Arzneimittel schwergetan. Und er hat die ABDA, ihre Mitgliedsorganisationen und Sie alle als Vertre- terinnen und Vertreter unseres unverzichtbaren Berufsstandes mit auf eine Karussellfahrt genommen, in der man mitunter or- dentlich durchgeschüttelt wurde. Stets beeinflusst von seinem politischen Ziel, eine Antwort auf das EuGH-Urteil vom Oktober 2016 unterhalb eines Rx-Versandhandelsverbotes (kurz Rx-Vv) zu finden. Seither haben wir viele neue Wortschöpfungen gehört: Boni- Deckel, Apothekenstärkungsgesetz, Gleichpreisigkeit, Ähnlich- preisigkeit, um nur einige zu nennen. Diese neuen Vokabeln zei- gen gleich drei Dinge auf. Erstens: Das Bemühen des Ministers und seines Ministeriums, eine Lösung zu finden. Zweitens: Die nahezu Unmöglichkeit, das Rx-Vv durch ein politisches Generi- kum auszutauschen. Und drittens: Dass auch ein Rx-Vv das Pro- blem nicht gänzlich an der Wurzel packt, sondern es vielmehr geboten wäre, das EuGH-Urteil zu revidieren. Dieses greift in die nationale Versorgungshoheit ein. Es produziert eine Schieflage zwischen ausländischen Versendern und deutschen Versorgern. Und jeder Versuch, diese Schieflage wieder zu korrigieren, bringt wiederum Verwerfungen mit sich. Es ist unsere Aufgabe als Vertretung von nahezu 8.000 Apo- thekerinnen und Apothekern, die wiederum in Westfalen-Lippe über 8,5 Millionen Patienten versorgen, auch weiterhin auf die- se Schieflage hinzuweisen. Dies schließt einen pragmatischen Umgang mit dem von Jens Spahn vorgelegten Apothekenstär- kungsgesetz und vielen sehr richtigen und zukunftsweisenden

Elementen dieses Gesetzesvorhabens nicht aus. Das hält uns aber auch nicht davon ab, weiter die klare Auffas- sung zu vertreten, dass das Urteil vom Oktober 2016 ein Irrtum war. Der EuGH hat es mit dem eingeschränkten Leistungsange- bot der ausländischen Versender begründet: Sie könnten nur über den Preiswettbewerb einen konkurrenzfähigen Zugang zum deutschen Arzneimittelmarkt finden. Das aber führt den Grundgedanken eines freien Binnenmarktes ad absurdum, hat unser höchstes Gremium, die Kammerversammlung in ihrer konstituierenden Sitzung für die neue Wahlperiode am 4. Sep- tember einstimmig festgehalten: „ Denn die Versender, die zum Teil in Form von Aktiengesell- schaften organisiert sind, richten ihr Geschäftsmodell auf den Versandhandel mit deutschen Kunden und Patienten aus. Es geht nicht darum, dass Apotheken, die beispielsweise nieder- ländische Kunden und Patienten versorgen, verwehrt würde, zusätzlich auch in Deutschland Fuß zu fassen, sondern allein darum, sich den lukrativsten Teil des deutschen Arzneimittel- marktes für den eigenen Konzern zu erschließen, oftmals mit Konzernstandorten direkt hinter der Grenze. Dies gefährdet das deutsche Gesundheitssystem, das auf einer wohnortnahen Ver- sorgung durch inhabergeführte Apotheken fußt. Ein Einstieg von Fremdkapitalgebern in die Arzneimittelversorgung führt dazu, dass die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten gegenüber den Renditeinteressen von Konzernen in den Hintergrund treten und die flächendeckende, wohnortnahe Versorgung torpediert wird. Die Delegierten der Kammerversammlung fordern daher die Bundesregierung auf, so wie es auch schon der Bundesge- richtshof getan hat, das Urteil vom 19. Oktober 2016 durch eine Wiedervorlage vor dem EuGH korrigieren zu lassen. “

Mit freundlichen, kollegialen Grüßen

AKWL Mitteilungs blatt 07-2019 / 3

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