GOLF TIME 4/2016

RUBRIK | ARTIKEL FANTASY MATCHPLAY

SCIENCE FICTION Bevor Bubba Watson zweifacher Masters-Sieger werden konnte, musste er wenigstens einmal in seinem Leben mit seinem großen Idol spielen. Von Götz Schmiedehausen

Severiano BalleSteroS

N ach dem letzten bizarren Ausflug in die Vergangenheit, als ich mit John Daly ins St. Andrews des Jahres 1927 gereist bin (siehe Ausgabe 2-2016), schworen wir uns, deutlich vorsichtiger bei der Auswahl der Zeitmaschinen-Passagiere der „GOLF TIME MACHINE“ vorzugehen. Jedoch habe ich das Gefühl, dass uns irgend- eine höhere Macht diese Entscheidung ohne- hin abnimmt und die Begegnungen zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit nach einer ihr eigenen Logik arrangiert. Das Zeitmaschinen-Navigationsgerät sollte mich eigentlich ins Jahr 1980 bringen, wo ich die Bauarbeiten am berühmten 17. Loch des TPC Sawgrass erleben wollte. Gelandet bin ich dann jedoch am späten Abend des 8. Mai 2011 in Jacksonville, Florida, direkt vor einer winzigen Kapelle, auf der von unzähligen Lampen und Leuchtschildern hellilluminier- ten und dichtbevölkerten Uferpromenade der Stadt. Im Schatten zwischen zwei Souvenir- läden, die mit wahnwitziger Leuchtreklamen- strahlkraft versuchen, die vorbeiziehenden Flaniermeilengänger ins Licht zu locken, kauert ein unscheinbares Gotteshaus, das mich wie ein Magnet anzuziehen scheint. Als ich die Eingangspforte hinter mir schließe und durch einen dicken, roten Vor- hang ins Innere trete, weicht die Kakopho- nie aus zahllosen Gesprächsfetzen, diffusem Lärm und plärrender Musik einer feierlichen Stille. In dem Raum, der nur von spärlichem Kerzenlicht erhellt wird, betet ein einzelner Mann in der Bankreihe direkt vor einem schmucklosen Steinaltar mit einem schlich- ten Holzkreuz. Das flackernde Zwielicht lässt Schatten über die Gestalt tanzen, als diese sich niederkniet. Die Minute, die sie so ver- harrt, scheint eine Ewigkeit anzudauern. Ich

geboren: 9. April 1957 gestorben: 7. Mai 2011

schiebe mich auf die Bank dahinter. Obwohl ich keine Ahnung habe, was ich ausgerechnet an diesem Ort und zu dieser Zeit verloren habe, bin ich nicht im Mindesten überrascht, als sich der Mann aufsetzt und zu mir um- dreht. Seine Wangen sind nass von Tränen. In den Händen wiegt er das Bild eines Toten. Ich erkenne sowohl das Gesicht auf der Ab- bildung als auch den Besitzer der Fotografie. Jetzt weiß ich, warum mich das Schicksal an eben diesen Ort geführt hat. Der spindeldürre Junge steigt vom Fahrrad ab und lehnt es an eine Steinmauer, direkt unter dem Marmorschild mit der Aufschrift: „Real Golf de Pedreña“. „In zwei Wochen ist sein 16. Geburtstag“, erkläre ich meinem Begleiter. „Seine Eltern haben ihm erlaubt, dann Golfprofi zu werden.“ Wir tragen unauffällige Sommerkleidung, die hellbraune Golftasche aus Stoff und Leder haben wir in einem Sportladen in Bilbao er- standen. Darin befinden sich 14 Schläger aus dem Jahr 1974. „Komm“, fordere ich ihn auf, „ich habe mit Manuel vereinbart, dass ihr jetzt eine Runde spielt. Du bist ein Tourist aus den USA und zudem sehr reich. Wenn er gewinnt, zahlst du Seve 10.000 Peseten. Das sind etwa 1.000 Dollar. Wenn er verliert, stecke ich Manuel das Geld zu, bevor wir gehen. Ach ja, Seve spricht noch kein Wort Englisch.“ „Ich kann ein paar Brocken Spanisch...“, setzt Bubba Watson an, den ich sogar soweit gebracht habe, dass er an seinem kakifarbenen Freizeithemd den obersten Knopf geöffnet lässt. „Die behältst du schön bei dir!“, schärfe ich ihm mit ernstem Blick ein. „Du redest nur mit mir! Ich spreche mit Manuel! Er redet mit

besonderheiten: Golf-Autodidakt, fünfmaliger Majorsieger – brachte sich das Golfspiel am Strand von Pedreña mit einem Eisen 3 bei. Hält noch immer den Rekord für die meisten Siege auf der European Tour (50). Starb im Alter von 54 Jahren an einem Hirntumor.

Seve! Aber eigentlich sollten wir so wenig wie möglich sprechen.“ Auf der Terrasse vor dem prachtvollen Clubhaus sitzen Severiano und sein älterer Bruder Manuel Ballesteros und beobachten das maritime Treiben auf dem Kanal zwi- schen der Atlantikküste und dem Fluss Miera. Als Manuel mich entdeckt, winkt er mir zu. „Und das ist Señor Watson“, erklärt Manuel seinem Bruder mit den markanten Augen- brauen kurze Zeit später auf Spanisch. Den Rest seiner Ausführungen decken meine beiden Jahre Sprachkurs nicht ab. Das Match beginnt auf einem Par 4, das den Namen „Castañeda“ trägt. Seve lässt Bubba den Vortritt, der ein Holz 1 benutzt, das diesen Namen auch wirklich verdient. Mit einem mächtigen Hook verzieht der Links- händer den Ball über die Baumreihen, die das Fairway säumen. Als das Spielgerät zwischen den Ästen verschwindet, blicke ich zu Bubba, der sich erstaunlicherweise über seinen Fehl- schlag zu freuen scheint. Seve nimmt ein kleines Holz in die Hand und sein jugendlicher Schwung sieht aus wie reine Poesie. Sein Ball entwickelt im Flug jedoch einen deutlichen Linksdrall und bleibt etwa zehn Meter vom Fairwayrand entfernt zwischen zwei Büschen liegen. Das Strahlen in Bubbas Augen gewinnt weiter an Inten-

38

GOLF TIME | 4-2016

www.golftime.de

Made with