GOLF TIME 5/2017

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Tasche zurück nach Las Vegas. Einen Monat vor der WM trat ich bei einem Turnier gegen die amerikanischen Top-Hitter an und gewann deutlich. Deshalb war es natürlich besonders bitter, als ich bei der WM früh gegen den späteren Champion Tim Burke ausschied, der bei deutlich besseren äußeren Bedingungen schlagen konnte als ich. Danach war ich ziemlich frustriert und musste mich mental gewaltig zusammenreißen, als es darum ging, ein weiteres Jahr auf die nächste World Championship hinzuarbeiten. Ich befand mich auf dem absoluten Höhepunkt meiner Leistungsfähigkeit, hatte gute äußere Be- dingungen und besaß absoluten Siegeswillen. Deshalb gewann ich meine Matches mit Längenunterschieden von 25 bis knapp 70 Metern. Normalerweise entscheiden nur wenige Meter, manchmal nur Zentimeter über Sieg oder Niederlage. So deutlich hat noch keiner vor mir eine World Long Drive Championship gewonnen. Das Publikum in den USA wird es nicht unbedingt erfreut haben, dass ein Engländer ihre Stars aufmischt. Schon richtig, 99 Prozent der Zuschauer kommen aus den Staaten und die Leute klatschen natürlich für ihre Leute. Doch die Publikumsreaktion am Finaltag erinnerte mich stark an die Szene aus dem Film „Rocky IV“, als die Russen erst alle gegen Rocky waren, am Ende jedoch für den Champion gejubelt haben. Der Schauspieler Dwayne „The Rock“ Johnson hat auf Twitter behauptet, er könne einen Golfball 450 Meter weit schlagen. Wie war deine Reaktion? Als ich das gehört habe, musste ich schon sehr lachen. Viele Leute haben das ernsthaft geglaubt. Doch für uns Long-Drive-Athleten war dieser Tweet gar nicht so schlecht, denn unser Sport kam dadurch Was war 2016 anders als im Jahr zuvor?

chon allein das Geräusch klingt martialisch. Wenn Joe Miller den Driver schwingt, hört sich das an, als würde ein Riese mit einer Bahnschiene auf eine Eisenkugel dreschen. Seit seinem ersten Weltmeistertitel 2010 ist der

32-jährige Engländer eine feste Größe in der Weltspitze der Weitenjäger. Im Guinness Buch wird sein Schlag über 512 Meter als längster, offiziell gemessener Long Drive geführt. 2016 erkämpfte er sich nach 2010 zum zweiten Mal den Gürtel des World Long Drive Champions. Für den erneuten Titelgewinn benötigte Miller „nur“ 390 Meter. Schon mit vier Jahren, als ich gerade mit Golf angefangen hatte. Im Verhältnis zu den anderen Kindern meines Alters flog mein Ball meilenweit. Mit elf oder zwölf Jahren konnte ich weiter schlagen als die meisten Erwachsenen. Zwei Jahre später bekam ich einen ordentlichen Wachstumsschub und ließ auch meinen Vater kurz, der bis dahin der unangefochtene Longhitter in unserem Golfclub war. Wie verlief dein Einstieg in die Long-Drive-Szene? 2003 hing in unserem Golfclub ein Flugblatt aus, in dem über ein Qualifikationsturnier zur Weltmeisterschaft im Long Drive informiert wurde. Mein Vater hat es entdeckt und mich sofort angemeldet. 2004 habe ich mir meinen ersten speziellen Long-Drive- Driver zugelegt, ein Cobra-Modell mit 3 Grad Loft. Ein Jahr später wurde ich Europameister und stellte mit 433 Metern einen neuen Europarekord auf. Ab diesem Zeitpunkt habe ich begonnen, den Sport wirklich ernst zu nehmen. 2005 konnte ich mich das erste Mal für die World Long Drive Championship in Las Vegas qualifi- zieren. Seither war ich immer dabei und wurde jedes Jahr besser. 2008 belegte ich den achten Platz und 2009 dachte ich schon, es könnte mein Jahr werden. Aber dann wurde ich krank und lag zwei Wochen auf der Nase. Auf 2010 habe ich mich deshalb umso intensiver vorbereitet und gewann meinen ersten Weltmeister- titel. Dieser Sieg sorgte dafür, dass ich den Sport als Vollzeitprofi ausüben konnte, denn nun war ich für die Sponsoren interessant geworden und wurde auch zu den gutbezahlten Schauwettkämpfen eingeladen. Trotzdem musstest du sechs Jahre bis zum zweiten Titel warten. Warum? Nachdem ich 2011 und 2012 jeweils erst im Halb- finale geschlagen werden konnte und Platz 3 belegen konnte, wurde ich immer als Favorit auf den Titel gehandelt. In Europa bspw. blieb ich zwischen 2012 und 2014 ungeschlagen und habe bei 19 von 19 Events gewonnen. 2015 kehrte ich mit diesem Rekord in der Ab welchem Alter konntest du den Ball weiter schlagen als andere Golfer?

DAS PHÄNOMEN JOE MILLER IN ZAHLEN

36% HÖHERER ABFLUGWINKEL Miller: 14,6° Tour Pro: 10,7°

79% HÖHERE FLUGKURVE Miller: 48,8 m Tour Pro: 27 m

41% LÄNGERE FLUGZEIT Miller: 8,9 Sek. Tour Pro: 6,3 Sek .

44% MEHR CARRY Miller: 352 m Tour Pro: 245 m

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360

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DURCHSCHNITT

OPTIMUM

Länge: 365 m Carry: 338 m

Länge: 402 m Carry: 365 m

Schwunggeschwindigkeit: 237 km/h Ballgeschwindigkeit: 350 km/h

Schwunggeschwindigkeit: 245 km/h Ballgeschwindigkeit: 365 km/h

Smashfaktor: 1,48

Smashfaktor: 1,50

Smashfaktor: 1.800 rpm

Smashfaktor: 1.400 rpm

Abflugwinkel: 14 °

Abflugwinkel: 16°

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