Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 1/2015 (Mai 2015)

Omega-3-Fettsäuren

zur Risikoreduktion üblichen Statin-The- rapie überhaupt keine medikamentöse Prophylaxe; zudem war die Studie her- stellerfinanziert (Omacor®), nicht verblin- det, nicht placebokontrolliert, ohne vor- her definierte sekundäre Endpunkte und hatte eine hohe Abbruchquote von 29 %. Bis heute werden als Grundlage der Hy- pothese, dass ein hoher ω 3-Fettsäure- Konsum das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen reduziert, die Untersu- chungen von Bang & Dyerberg aus den 1970er Jahren genannt. 4 Damals wurden jedoch nur die Ernährungsgewohnheiten untersucht, nicht aber die Prävalenzen kardiovaskulärer Erkrankungen. In einem aktuellen (2014) Übersichtsartikel zur kar- diovaskulären Morbidität der Inuit konn- te vielmehr gezeigt werden, dass sich die Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen trotz des hohen Seefischkonsums nicht von europäischen Vergleichspopulati- onen unterscheidet. 5 Und noch mehr: Die Inuit haben eine erhöhte Schlaganfall- rate, eine erhöhte Gesamtmortalität und im Vergleich zu Festlandseuropäern eine um durchschnittlich zehn Jahre geringere Lebenserwartung. 5 Andererseits könnte es einen plausiblen Grund für den fehlenden klinischen Wirk- samkeitsnachweis geben: Nahezu alle Pa- tienten mit hohem kardiovaskulärem Ri- siko erhalten heute eine Statin-Thera- pie – insbesondere zur Sekundärpräven- tion nach erstem Herzinfarkt. Anders als in der nicht mehr leitliniengerechten Kon- trollgruppe der GISSI-Studie erhalten heu- tige Patienten bei Studien zur kardiopro- tektiven Wirksamkeit von ω 3-Fettsäuren in der Interventionsgruppe also „Statin + ω 3-Fettsäure“ und in der Kontrollgruppe „Statin (mono)“. Somit könnte ein mög- licher positiver Effekt der ω 3-Fettsäuren durch die Statine kaschiert werden. In früheren Studien war der kardiovaskuläre Vorteil entsprechend nur dann nachweis-

Abbildung 1: Ernährungsphysiologie und Stoffwechsel der ω 3- und ω 6-Fettsäuren. 20

Studien konnte die antithrombotische Wirksamkeit ebenfalls nicht zuverlässig reproduziert werden. Schaut man sich die verfügbaren Meta-Analysen an, so kön- nen hier lediglich jene Analysen eine kar- diovaskulär-präventive Wirksamkeit zei- gen, die auch Studien ohne Placebo-Kon- trolle in die Auswertung mit einschlossen. Beinhalten die Meta-Analysen dagegen ausschließlich placebokontrollierte Studi- en, so zeigt die Supplementation mit ω 3- Fettsäuren keinen Effekt auf die Häufig- keit von Schlaganfall, Herzinfarkt, Herz- insuffizienz, Angina pectoris, kardiovas- kulärer Mortalität oder Gesamtmortali- tät. 2 Zum gleichen Ergebnis kommt auch eine Cochrane-Studie, die weder für Ge- sunde noch für bereits kardiovaskulär Er- krankte einen Vorteil durch ω 3-Fettsäure- Supplemente oder durch ω 3-Fettsäure- reiche Ernährung zeigte. 3 Die häufig als Beleg für die kardiovasku- läre Wirksamkeit der ω 3-Fettsäuren an- geführte GISSI-Studie mit über 11000 Pa- tienten nach Herzinfarkt aus dem Jahr 1999 weist erhebliche methodische Män- gel auf: Zwar war das kardiovaskuläre Ri- siko in der ω 3-Gruppe reduziert, doch die Kontrollgruppe erhielt statt der heute

den ungünstigen gesundheitlichen Effek- ten einer fleischreichen Ernährung bei. 1

ω 3-Fettsäuren und das kardiovaskuläre System

In den vergangenen Jahren wurde im- mer wieder gezeigt, dass EPA und DHA vasodilatatorisch, antiarrhythmisch, li- pidsenkend und antiinflammatorisch wirken – alles Effekte, die sich günstig auf die Prävalenz und den Verlauf kar- diovaskulärer Erkrankungen auswirken müssten. Hinsichtlich klinisch relevanter Endpunkte wie kardiovaskulärer Morbi- dität und Mortalität – also jenseits rein pathophysiologischer Parameter – ist die Datenlage nach wie vor uneinheitlich: So gibt es zwar zahlreiche Studien, die einen präventiven Effekt zeigen; jedoch gibt es mindestens ebenso viele doppelblinde, randomisierte und placebokontrollierte Studien, bei denen ein derartiger Ef- fekt nicht nachweisbar ist. Auch der häu- fig diskutierte antithrombotische Effekt der ω 3-Fettsäuren ist tatsächlich vorhan- den, allerdings erst in sehr hohen Dosie- rungen, die entweder ca. 1,2 kg Hering pro Tag oder 15 g/d DHA bzw. EPA in Sup- plementform entsprechen. In klinischen

6 Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe de Apothek kammer Westfalen-Lippe

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