animiert magazin nummer14 sommer

«Der Mönch im Pfaffenhau- fen»: Stets sein Ziel vor Au- gen, schreitet der Mönch den mühsamen Weg bergan. “The Monk in Pfaffenhaufen”: His sights set firmly on his goal, the monk continues his laborious trek uphill.

«…dieAlpenunddie andereWelt» “In the Alps and the other world” Text & Fotos: Mike Bacher

Als 1816 der englische Lord George Gordon Byron den Sommer in der Schweiz verbrachte, wurde er durch die Hochalpen und den sich darum rankenden Sagen und Erzählungen geradezu magisch angezogen. Beeinflusst von diesen Erfahrungen schrieb er das dramatische Gedicht «Manfred», welches für die Epoche der Roman- tik von zentraler Bedeutung ist. In diesemWerk gelingt es Byron, wesentliche Elemente der Sagenwelt einzubauen. Begeistert schrieb er darüber: «Es ist eine Art tolles Drama, die Bühne sind die Alpen und die andere Welt». Byron hatte sein Gedicht nalbewusstsein. Speziell im deutschsprachigen Raumwar damit auch die «Entdeckung» der Volkserzählungen verbunden – im speziellen der Sagen. Während diese bisher höchstens in Einzelfällen als Kuriosum notiert wurden, in- teressierten sich plötzlich viele Wissenszweige dafür: die Juristen hofften daraus das Rechtsemp- finden des Volkes abzuleiten, die Mythologen suchten nach Spuren vorchristlichen Glaubens und die Schriftsteller einen tieferen Zugang zu den menschlichen Empfindungen. In gehobenen Kreisen gehörten in dieser Zeit Sagenthemen zu den zentralen literarischen Lesestoffen. Diese Entwicklung lässt sich speziell auch in der Sammeltätigkeit der Engelberger Sagen ablesen. Noch 1702 wurde die Sage vom Uris- tier durch den Zürcher Gelehrten Johann Jakob Scheuchzer als Kuriosum niedergeschrieben, um sogleich eine wissenschaftliche Erklärung für die darin enthaltenen Phänomene zu lie- fern. Anders nun der Engelberger Gemeinde- schreiber Melchior Kuster, der sich 1823 an die zum richtigen Zeitpunkt ver- fasst. Im Zuge der Befreiungs- kriege von der napoleonischen Herrschaft 1813–1815 erwachte damals bei allen europäischen Völkern ein eigenes Natio-

Erarbeitung zweier Sagengedichte macht. Be- einflusst durch die deutschen und englischen Schriftsteller der Romantik entstand speziell mit «Die verzauberte Jungfrau in dem sogenann- ten Jungfrauen Loch im Galtiberg zu Engelberg» eines der ganz wenigen zeitgenössischen litera- rischen Werke aus dem Gebiet der Urschweiz. Nach Kuster wird es allerdings wieder längere Zeit ruhig um die Engelberger Sagen. Erst 1842 notiert sich der Berner Notar Gottlieb Samuel Studer anlässlich einer Hochtour auf den Titlis die Sage vomMönch im Pfaffenhaufen. Die Publika-

tion dieser Sage im Rahmen seiner Tourenbeschreibung passt ins damalige bürgerli- che Umfeld, welches auch bei alpinistischen Tätigkeiten die Erweiterung des eigenen Be- wusstseins auf kultureller Ebe-

Sagen ermöglichen einen Blick durch den Vorhang des alltäglichen Lebens hin zur «anderen Welt».

ne miteinbezieht. Dies änderte sich in den 1860er Jahren, als der Luzerner Priester Alois Lütolf zu wissenschaftlichen Zwecken eine Sammlung und Veröffentlichung aller Innerschweizer Sagen anregte. Gewährspersonen aus allen Gemein- den, meist Priester und Studenten, machten sich auf der Suche nach diesen. Für Engelberg war es speziell Hans von Matt, der sich darum bemühte. Damit war auch die Bildung des «Engelberger Sagenkorpus» weitgehend abgeschlossen. Nach 1865 wurden in Engelberg praktisch keine Sagen mehr gesammelt, sondern die vorhandenen je- weils übernommen und umgestaltet. Als 1909/10 der Rechtsanwalt Franz Niederberger und 1982 der Engelberger Mönch Pater Georg Dufner ihre Sammlungen veröffentlichten, lag ihr Hauptziel darin, die interessierten Leser zu unterhalten und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit zu bieten, einen Blick durch den Vorhang des alltäglichen Lebens hin zur «anderen Welt» zu ermöglichen. Buchtipp: Mike Bacher: Sagen und Le- genden aus Engelberg, 2014, edition höchli.

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