Blickpunkt Schule 2/2022

änderungen besondere Herausforde- rungen, denen die Gesellschaft be- gegnen muss. Elementare Kultur- techniken wie das Vorlesen von Mär- chen als abendliches Einschlafritual, das Erzählen von Geschichten im Fa- milien- und Freundeskreis oder der spielerische Umgang mit Sprache so- wie Mimik und Gestik im Puppenthea- terspiel werden in den Familien deut- lich weniger gepflegt, als es noch vor einer oder zwei Generationen üblich war. Parallel dazu nehmen wir wahr, dass der Medienkonsum von Kindern ansteigt: ZumTeil lernen schon Klein- kinder den Umgang mit einem Smartphone. Aus unterschiedlichen Rückmeldungen von Grundschulen erfahren wir, dass die motorischen Fä- higkeiten der Kinder insgesamt eher rückläufig sind. Selbstverständlich sind das Mo- mentaufnahmen, die wir weder über- bewerten noch unterschätzen dürfen, denn die zahlreichen Eltern, Großel- tern, Verwandte und Freunde, die sich der sprachlichen Förderung unserer Kinder und Jugendlichen täglich sehr hingebungsvoll und mit großer Sorg- falt widmen, gehören ebenso in das Gesamtbild wie die zuvor geschilder- ten Befunde. Was sich offenbar aus beiden Momentaufnahmen ergibt, ist eine sehr heterogene Ausgangssitua- tion, von der aus unsere Kinder und Jugendlichen ihre schulische und per- sönliche Entwicklung in Angriff neh- men. Da das Beherrschen der deut- schen Sprache – wie es uns einschlä- gige wissenschaftliche Untersuchun- gen vor Augen führen 2 – den zentra- len Schlüssel für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn in unserem Land darstellt, ergibt sich automatisch für alle Schülerinnen und Schüler das sichere Beherrschen der deutschen Sprache in Wort und Schrift als Grundvoraussetzung für Bildungs- und Chancengerechtigkeit. Daher wird eine intensive, systematische Deutschförderung insbesondere in den Teilbereichen Lesen, (Recht-) Schreiben, Zuhören und Sprechen über alle Bildungsetappen in der aktuellen Situation wichtiger als je zuvor.

Die elementaren Fertigkeiten des Lesens und Schreibens sind Schlüs- selqualifikationen für die Teilhabe an der heutigen, mehr denn je auf Kom- munikation ausgerichteten Gesell- schaft. Zugleich bilden beide Bereiche das Fundament für das sprachliche Register, mithilfe dessen man sich in der Schule und darüber hinaus Wissen aneignen und zum Ausdruck bringen 3 kann: Die Rede ist von Deutsch als Bil- dungssprache, dem Schwerpunktthe- ma der hessischen Präsidentschaft in der Kultusministerkonferenz 2019. Im Laufe des gesamten Jahres 2019 er- gingen zahlreiche landes- und bun- desweite Impulse, die sich diesem wichtigen Thema widmeten. Auf die spezifisch hessischen Maßnahmen zur Stärkung der Bildungssprache Deutsch wird an anderer Stelle in dem vorliegenden Themenheft noch ge- sondert eingegangen. 4 Ein zentrales Dokument, das die gemeinsamen Anstrengungen zur nachhaltigen Stärkung bildungs- sprachlicher Kompetenzen abbildet, ist die am 5. Dezember 2019 veröf- fentlichte KMK-Empfehlung mit dem Titel ’Bildungssprachliche Kompeten- zen in der deutschen Sprache stär- ken’. 5 Die Empfehlung umfasst das Arbeitsergebnis einer von Hessen ini- tiierten und geleiteten, länderüber- greifenden Arbeitsgruppe. Erstmals wurde auf diesemWege eine gemein- same Empfehlung zumThema ’Bil- dungssprache Deutsch’ mit konkreten Praxisempfehlungen für bundesweit alle Schulen ausgesprochen. Die in der Presse vielbeachtete Empfehlung wurde unter anderem als das ’Einmal- eins für den Schulerfolg’ 6 bezeichnet. Die Länder erhalten mit dieser Emp- fehlung einen Orientierungsrahmen zur Stärkung der bildungssprachli- chen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler. Der Orientierungsrah- men ermöglicht den Ländern jedoch individuelle Ausgestaltungsmöglich- keiten für bestehende und zukünftige Maßnahmen. Dazu verständigte sich die Arbeitsgruppe zur Erstellung der Empfehlung länderübergreifend auf zehn Grundsätze, die Gelingensbedin- gungen für eine erfolgreiche Stärkung

bildungssprachlicher Kompetenzen in der deutschen Sprache definieren. Zusätzlich formulierten die Länder – an diesen zehn Grundsätzen orien- tiert – Beispiele für aktuelle Maßnah- men, die in den jeweiligen Ländern bereits umgesetzt werden. Diese Zu- sammenstellung dokumentiert die beachtlichen Anstrengungen der Län- der in der Stärkung bildungssprachli- cher Kompetenzen. Wichtig ist in die- sem Zusammenhang, dass sich die KMK-Empfehlung auf alle Schülerin- nen und Schüler mit ihrem jeweils be- sonderen Unterstützungsbedarf und den unterschiedlichen individuellen Begabungen bezieht. An dieser Stelle wird beispielhaft auf zwei Thesen der KMK-Empfeh- lung eingegangen, die mitunter im Zusammenhang mit schulischer Bil- dung auch kontrovers diskutiert wer- den: Grundsatzthese 1: Sprachliche Bil- dung und Sprachförderung erfolgen durchgängig und systematisch über alle Bildungsetappen hinweg, vom Übergang aus dem Elementar- in den Primarbereich bis in die Sekun- darbereiche der allgemeinbildenden und beruflichen Schulen. Alle an schulischer Bildung Beteiligten stehen in der gesellschaftlichen Ver- antwortung, für unsere Kinder und Jugendlichen jeglichen Sprachstan- des die bestmögliche Bildung gemäß ihren individuellen Begabungen zu schaffen. Ganz wesentlich sind in un- serer schriftlich geprägten Kultur das Leseverstehen und das schriftliche und mündliche Ausdrucksvermögen. Diese Fähigkeiten stellen die Grundla- ge für den Erwerb weiteren Wissens dar. Dementsprechend ist die Ent- wicklung und Festigung bildungs- sprachlicher Kompetenzen per defini- tionem bildungsetappenübergreifend notwendig. Dabei kommt insbesonde- re den Übergängen vom Elementar- in den Primarbereich sowie vom Pri- mar- in den Sekundarbereich und schließlich vom schulischen in den universitären Bereich oder den Be- reich der dualen Ausbildung eine Schlüsselrolle zu. Gleichzeitig ist die

Sprache – Bildung – Denken

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SCHULE

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