Blickpunkt Schule 2/2022
Fehlerindex in der Mittelstufe?
Deutsch aufgearbeitet werden. Die Implementierung des sprachsensiblen Fachunterrichts in das Lehramtsstudi- um und Referendariat stellt somit eine sinnvolle Maßnahme des Kultus- ministeriums dar. Das persönliche Umfeld des Kindes wird vor dem Besuch der weiterfüh- renden Schule stark vomWohnort der Eltern bestimmt. Leben die Eltern bei- spielsweise in einem eher bildungs- bürgerlichen Wohnviertel, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch in der KITA und Grundschule (aufgrund des Schulsprengels) Gleichaltrige aus bildungsbürgerlichen Elternhäusern zum direkten Umfeld des Kindes ge- hören und ggf. die bereits präferierte Medienwahl (’Netflix’ oder ’Kinder- buch’) zusätzlich verstärkt wird. Insofern stellen das Maßnahmen- paket der Landesregierung zur Bil- dungssprache und die bereits seit Jahren praktizierte Zuweisung zusätz- licher Stunden auf Grundlage des So- zialindex einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung sozialer Disparitäten im Schulsystem dar, legen sie doch einen Schwerpunkt darauf, die Defizite in den oben genannten Bereichen zu- mindest zu mindern. Sie unterstützen also mitnichten eine ’Rotstiftpädago- gik’, sondern leisten einen wichtigen Beitrag zum Erreichen einer höheren Bildungsgerechtigkeit.
»das kommt nicht in der Arbeit vor!« und beobachte genau die Gesichter der Kinder. Bei einem Großteil wird die Aufmerksamkeitsspanne sicher- lich nicht mit dieser Äußerung ange- hoben. Somit sendet man durch ei- ne fehlende Bewertung der Recht- schreibung das Signal, dass diese nicht so wichtig sei. Der Unterschied zur Lebenswirklichkeit ist in diesem Punkt allerdings diametral. Auch modernste Textverarbeitungspro- gramme können sprachliche Defizite nur begrenzt kompensieren. Der sprachliche Ausdruck und die Rechtschreibung sind häufig der erste Eindruck, den wir bei einem Kommunikationspartner hinterlas- sen, wenn die Kontaktaufnahme schriftlich erfolgt. Aber hat der Feh- lerindex tatsächlich nichts mit den fachlichen Fähigkeiten des Schülers im jeweiligen Schulfach zu tun? Hier lohnt es sich, einen genaue- ren Blick auf die Bestandteile des (aktuell für die hessische Oberstufe geltenden) Fehlerindex zu richten. Neben ’Rechtschreib-’, ’Zeichenset- zungs-’ und ’Grammatikfehlern’ werden dort auch ’Ausdrucksfehler’ in die Bewertung miteinbezogen. Diese beinhalten laut Vorgabe auch den »fehlenden Gebrauch von Fach- termini«. Der letztgenannte Punkt bildet sicherlich einen Schnittpunkt zur inhaltlichen Bewertung einer Ar- beit. Gleichwohl lassen die Vorgaben der Lehrpersonen insbesondere bei der Bewertung des Ausdrucks einen großen Ermessensspielraum, wie diese Beispiele zeigen: a) Die Fuge war eine polyphone Form. Die Fuge war vor allem im Barock beliebt. b) Die Fuge die vor allem im Barock beliebt war, ist eine polyphone Form. Bei ’Satz a’ kann die Lehrkraft frei darüber entscheiden, ob sie gleiche Satzanfänge als Ausdrucksfehler wertet. Ist dies nicht der Fall, wer- den Schüler mit einem paratakti- schen (aus Hauptsätzen bestehen-
von Sebastian Krämer W ohl die meisten kennen diese Situation: Man sucht in einem Internet- shop nach einem bestimmten Arti- kel und möchte ein realistisches Ur- teil über diesen erhalten. Allerdings existieren zahlreiche positive und negative Kundenbewertungen. Sind einige von diesen mit Rechtschreib- fehlern gespickt, fallen diese als Erste durchs Raster und werden von uns als unseriös eingestuft. Ähnlich verhält es sich mit sprachlich man- gelhaften Bewerbungsschreiben und anderen offiziellen Schriftstü- cken. Gerne zitiert wird die Klage der Polizeigewerkschaft, dass Bewerber nicht am sportlichen Eingangstest, sondern an den Rechtschreibkom- petenzen scheitern. Umso unver- ständlicher erscheint vor diesem Hintergrund das konzertierte La- mento von Gegnern des Fehlerindex. Es hält sich hartnäckig die Mär, eine katastrophale Rechtschreibung könne im Falle einer herausragen- den inhaltlich-fachlichen Leistung die Gesamtnote in ungerechter Wei- se trüben. Übersehen wird dabei, dass die Kultusministerkonferenz (gegen den Willen des Landes Hes- sen) den Fehlerindex in der Oberstu- fe auf einen maximalen Abzug von zwei Notenpunkten abgemildert hat. Somit kann aktuell auch eine sprachlich katastrophale Abitur- klausur eines Deutschleistungskurs- schülers theoretisch mit ’sehr gut’ bzw. 13 Notenpunkten bewertet werden. Kann man es tatsächlich als pä- dagogisch sinnvoll ansehen, die Rechtschreibung im schulischen Kontext außerhalb der sprachlichen Fächer nicht in die Bewertung mit- einzubeziehen? Welche Botschaft vermittelt es den Lernenden, wenn in Deutsch die Rechtschreibung in die Bewertung miteinfließt, im Fach Geschichte aber zum Beispiel nicht? Man ergänze bei einem beliebigen Unterrichtsinhalt nur den Zusatz:
Sprache – Bildung – Denken
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Literatur
Koch, Peter/Oesterreicher, Wulf: Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte. In: Romanistisches Jahrbuch, 36. Band, Berlin/New York 1985, Seite 17.
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