11_2019

ÜBERFÜLLTE INFRASTRUKTUREN

wertvollen Kunstwerks durch ein Mu- seum auf den Marktpreis für vergleich- bare Objekte auswirken. Das kann die Museumsleitung in einen Interessen- konflikt führen, meint Gendre. «Zwei- tens ist es schwierig, die Abgabe von Sammlungsgut positiv zu kommunizie- ren. Eine schlechte Kommunikation über die Deakzession kann sich negativ auf das Image des Hauses und auf dessen Beziehung zu Öffentlichkeit, Spendern, Donatoren oder Partnern auswirken.» Diese Klippen muss ein Museum auf Entsammlungskurs konsequent um- schiffen. Um den möglichen negativen Folgen entgegenzuwirken, müsse das Museum der Öffentlichkeit gegenüber den Prozess unbedingt transparent do- kumentieren und kommunizieren. Hilfe von aussen und von innen Entschliesst sich ein Museum dazu, eine Deakzession durchzuführen, müssen ge- wisse Richtlinien und gesetzliche Grund- lagen beachtet werden. Einerseits gelten die ethischen Richtlinien und Grundre- geln des International Council of Muse- ums (Internationaler Museumsrat, ICOM). Andererseits sieht in der Schweiz das Bundesgesetz über den internatio- nalen Kulturgütertransfer (KGTG) ge- wisse Beschränkungen in Bezug auf die Entäusserung von Sammlungsobjekten vor. Ausserdem muss das Museum in Erfahrung bringen, welche weiteren sta- tutarischen oder ethischen Vorgaben zusätzlich berücksichtigt werden müs- sen. Sobald die rechtlichen Verhältnisse und Auflagen geklärt sind, kann man sich dem eigentlichen Prozess zuwen- den. Bei der Durchführung einer Deak- zession ist es wichtig, sich auf das er- stellte Sammlungskonzept zu berufen. Dabei ist es von Bedeutung, den gesam- ten Prozess sorgfältig zu dokumentieren: «Nur so kann garantiert werden, dass auch noch Jahre später der Abgabepro- zess nachvollziehbar bleibt», betont Gendre. Entscheidend ist die Übersicht über die Sammlung. Dabei kann von grossem Vorteil sein, die verantwortlichen Mitar- beitenden zurate zu ziehen, da diese oft mehr über ein einzelnes Objekt wissen als die Datenbank, sagt Deakzessionsex- perte Simon Schweizer. Ausserdem kann man sich an externe Fachleute wenden, die dann den Prozess begleiten und unterstützen. Geld für neue Objekte Es kann sein, dass das Verfahren auf- wendig ist, doch langfristig lohne es sich auf jeden Fall. «Eine Deakzession durch- zuführen, ist ein andauernderVorgang», so Schweizer. Schon die Anfangsphase,

in der die Idee diskutiert wird, kann viel Zeit beanspruchen, denn es müssen alle Vor- und Nachteile abgewogen werden. Ausserdem muss ja neben dem Deak- zessionsvorgang die allgemeine Muse- umsarbeit weitergeführt werden. Wenn entschieden ist, welche Objekte man aussortieren wird, muss man einenWeg finden, wie man sie weitergeben kann. Dabei gibt es verschiedene Möglichkei- ten: Man kann die Objekte an ein ande- res Museum verschenken oder allenfalls verkaufen, es ist möglich, sie an einer Auktion zu versteigern, an öffentliche Institutionen wie Schulen abzugeben oder, als letzter Ausweg, sie zu vernich- ten. «Die Museen sind gemäss den ethi- schen Richtlinien der ICOM verpflichtet, Einnahmen aus Deakzessionsmassnah- men wieder in die Sammlung zu ste- cken», so Schweizer. Bei einigen grossen Museen wie dem Museum für Kommu- nikation in Bern, dem Museum der Kul- turen in Basel und dem Musée cantonal de géologie in Lausanne war das Ergeb- nis der Deakzession zufriedenstellend, es gab mehr Platz, und mit dem gewon- nenen Geld lassen sich neue Sammlun- gen und Objekte kaufen oder eine beste- hende Sammlung verbessern. Bei vielen kleinen Museen steht hingegen der ge- wonnene Platz imVordergrund der Ent- sammlungsbemühungen. Das Museum Schloss Burgdorf bei- spielsweise stand mit der Umnutzung des Schlosses zu neuem Museum, Ju- gendherberge und Restaurant vor der Herausforderung, 60000 Objekte aus den alten Mauern zu zügeln. Das Mu- seum nutzte dies, um die Sammlungen nicht einfach an einen neuen Ort zu ver- lagern, sondern sich auch fit für die Zu- kunft zu machen. Dazu wurden in be- stimmten Objektgruppen vorhandene Doubletten oder nicht ins Sammlungs- konzept passende Objekte gemäss aktu- ellen Richtlinien deakzessioniert. Die entlassenen Objekte wurden teils an Museen weitergegeben, teils für die Bil- dung undVermittlung bereitgestellt oder an Auktionen gebracht. «Dieser Prozess ist aufwendig und zeitintensiv», schildert Museumsleiter Daniel Furter die Erfah- rungen. Gleichzeitig könne aber der knappe Lagerraum besser genutzt wer- den. Ein weiterer Vorteil der Aufarbei- tung sei die bessere Zugänglichkeit: «Die verbleibenden Objekte sind alle in einer Onlinedatenbank erfasst und für die Mu- seumsarbeit greifbar». Standardprozedere statt Tabuthema Ob in grossen Häusern oder in Dorfmu- seen, eine Deakzession zu machen, war in der Schweiz lange Zeit einTabuthema. «Doch in Zukunft wird sie eine grosse

Rolle spielen», so Simon Schweizer. Das Eis ist gebrochen, man spricht öffentlich darüber. Auch haben viele Museen die Vorteile einer Deakzession erkannt und handeln dementsprechend.

Linda Ciraulo

Deakzession Empfehlungen und Entscheidungshilfen

Normen und Standards – Empfehlungen desVMS2018

Simon Schweizer: «Deakzession, Empfehlungen und Entscheidungs- hilfen». Diese Publikation ist in Deutsch, Französisch und Italienisch vorhanden. Download: https://www. museums.ch/publikationen/stan- dards/deakzession.html

Werden Objekte ausgesondert, wird Lager- platz frei. Zudem steht mehr Zeit zur Verfü- gung, sich um die verbleibenden Objekte zu kümmern und sie beispielsweise digital zu katalogisieren. Bild: Museum Schloss Burgdorf

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SCHWEIZER GEMEINDE 11 l 2019

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