Blickpunkt Schule 5/2023

Klartext

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Zeit für mehr Zeit – Bildungspolitik in Hessen

D ie Apokalypse ist nah; zumin dest mit Blick auf das hessi sche Schulsystem! Das war die Botschaft, die auf den landesweiten Demonstrationen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vom 20. September verkündet wurde. Unter dem Motto ‘Zeit für mehr Zeit’ wurde die Demonstration beworben. Ob es an diesem kryptischen Motto lag, dass die Teilnehmer in sehr über schaubaren Mengen kamen, sei ein mal dahingestellt. Dass Bildung Zeit benötigt, wird niemand bezweifeln. Die Forderungen nach kleineren Klas sen, mehr Lehrkräften, mehr Geld und mehr Wertschätzung für den Lehrbe ruf waren dann auch nicht neu. Es steht außer Frage, dass eine Schul klasse mit fünfzehn Kindern ein ande res Lernen und Lehren ermöglicht als eine mit dreißig. Das einzelne Kind kann sich in einer kleinen Klasse si cher besser entfalten als in einer gro ßen. Dies auch, weil die Lehrkraft mehr Zeit für den Einzelnen finden würde. Deswegen ist es legitim, diesen Wunsch nach kleineren Klassen zu äußern. Dafür braucht es aber keine Demonstration. Ziel derselben war es dann auch, die Gesamtsituation als katastrophal zu brandmarken. Konse quenz: Nur der Regierungswechsel verspricht Rettung. Ansonsten droht der Untergang. Mit derartigen Pole

könnten damit keine neuen Lehrkräf te gewonnen werden; es sind nämlich keine da. Andersherum wird ein Schuh draus! Bereits jetzt ist teilweise zu be obachten, dass Schulen ihre finanziel len Mittel nicht vollumfänglich nutzen können, da sie schlicht und ergreifend kein Personal finden. Dies gilt vor al lem für die Ganztagsangebote. Hier ist auch ein Teil der Wahrheit, dass gerade im ländlichen Raum zahlreiche Kinder die Angebote gar nicht anneh men wollen. Wenn Oma daheim kocht, ist das ein starkes Argument, nicht in der Schule zu bleiben. An die ser Stelle auf fehlende Mittel zu ver weisen, hilft nicht weiter und pau schalisiert. Das Gleiche gilt für die Schulverpflegung. Selbstverständlich sollte es das Ziel sein, jedem Kind ein Angebot mittags in der Schule zu ma chen. Gesund, nachhaltig, abwechs lungsreich und preiswert, so soll es sein. Nicht zuletzt soll es auch gut schmecken. Annehmen müssen es die Schüler nicht, wieso auch. Niemand soll zum Essen gezwungen werden. Kostengünstig ist das Ganze auch nicht zu haben. Und auch hier gilt: Wo sollen die vielen Köche herkommen? Es gibt sie nicht. Bildungspolitik in Hessen! Alles ok? Nein, natürlich nicht. Die digitale Aus stattung der Schulen unterscheidet sich stark von Schulträger zu Schul

von THORSTEN ROHDE stellvertretender Vorsitzender des Hessischen Philologenverbandes

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miken zu arbeiten, das sehen wir bun desweit an anderen Beispielen, sorgt nicht für eine seriöse Gesprächskultur. Darüber hinaus gilt: Die von SPD und Linke avisierte, auch von der GEW ge forderte Schule für alle wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Ad acta gelegte ideologische Schul kampfdebatten würden befeuert. Die Einheitsschule mit dem Einheitslehrer würde unseren Schülerinnen und Schülern schaden. ‘Zeit für mehr Zeit’ würde sie nicht hervorbringen. Die Fakten sind die, dass die Migra tion nach Deutschland im Allgemei nen und der Ukrainekrieg im Beson deren Zehntausende neue Schülerin nen und Schüler nach Hessen ge bracht hat. Dies kann jeder bewerten, wie er will, es ist zunächst einmal so. Der Regierung, egal welcher Couleur, in dieser Lage vorzuwerfen, dass sie – gewissermaßen aus Knausrigkeit – ‘Zeit für mehr Zeit’ verhindere, ist po lemisch. Selbst wenn noch mehr Geld in den Bildungssektor fließen würde,

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