Blickpunkt Schule 5/2023

Abschiedsrede von Reinhard Schwab Vorsitzender von 2019 bis 2023

hphv intern

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, Baden-Württemberg hat zuletzt mit einer fragwürdigen Werbekampagne um Lehrkräfte gebuhlt: »Gar keinen Bock auf Arbeit morgen?« hieß es auf einem Plakat. Die Lösung für das Pro blem stand auch dabei: »Mach, was Dir Spaß macht und werde Lehrer*in.« Mit anbiedernder Jugendsprache ver suchte das Stuttgarter Kultusministe rium Quereinsteiger für das Lehramt zu gewinnen. Lehrerverbände protestierten heftig, nach einer Woche wurde der Slogan geändert. Was man für eine dumme Satire halten könnte, ist leider bittere Realität gewesen. Von der derzeitigen Erregungskultur im Lande ist die Schulpolitik genauso betroffen wie die allgemeine Sicht auf den Lehrerberuf, der bei genauerem Hinsehen natürlich sehr unterschied liche Belastungsdimensionen bereit hält. Nicht überraschend mussten bei der Einebnung der Eingangsbesoldung sachgerechte Argumente hinter mora lisch-emotionalen zurückstehen. Die ses dicke Brett der Besoldungsfairness muss weiterhin von unserem Verband intensiv bearbeitet werden. Wir erwar ten eine verfassungsgemäße, amts angemessene Besoldung. Das mehrgliedrige Schulsystem ver treten wir selbstverständlich offensiv, da es den unterschiedlichen Leis tungsniveaus in der Schülerschaft nachweislich am besten gerecht wird. Das nachgerade ‘dystopische’ Ziel »Einheitsschule für alle« anstelle frei er Wahlmöglichkeit wird nach wie vor von sich progressiv verstehenden ‘Ex perten‘ mit missionarischem Eifer her beigeredet. Wäre man Zyniker, könnte man hier eine Lust am Untergang ver muten. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, sich fortschrittlich wäh nende Politiker bewegten sich nicht in der Realität, sondern in Träumereien.

nicht nur als Person, sondern auch als Funktionsträger infrage gestellt zu werden. In diesem Zusammenhang muss der Zuzug von Flüchtlingen aus fremden Kulturen mit streng patriarchalen Strukturen thematisiert werden, der auch bedrohlich für den sozialen Frie den in unseren Schulen werden könn te. Insbesondere Kolleginnen haben da schon einschlägige Erfahrungen gemacht. Disziplinprobleme, fehlende Moti vation oder Gewalt – auffälliges (tendenziell asoziales) Verhalten von Schülerinnen und Schülern wird von den Lehrkräften am häufigsten als aktuell größte Herausforderung ge nannt. Das zeigt das Deutsche Schul barometer im Auftrag der Robert Bosch Stiftung. Die repräsentative Be fragung von Lehrerinnen und Lehrern allgemeinbildender und berufsbilden der Schulen wurde im Juni 2023 vom Umfrageinstitut Forsa durchgeführt. Dem Unterricht droht heute eine schleichende Aushöhlung von Maßstäben, die eigentlich eine vertief te Allgemeinbildung, Wissenschafts propädeutik sowie allgemeine Studier fähigkeit garantieren sollten. Laut dem 20. Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (kurz: INSM) hat sich das Bildungs- niveau in Deutschland in den letzten zehn Jahren dramatisch verschlech tert – Sachsen ist aktuell Spitzenreiter, Bremen Schlusslicht, Hessen bewegt sich im Mittelfeld.

Der Blick auf empirische Befunde wie auch auf erfahrbare Realitäten in den Schulen offenbart unbarmherzig eine erodierende Bildungsqualität. Und ja: Ein allgemeiner Kulturverlust sowie eine zunehmende Erosion des Leistungsprinzips machen der Institu tion Schule schwer zu schaffen. Die Realität beschert uns weitere unangenehme Risiken und Nebenwir kungen, die auf dem Beipackzettel des aktuellen Lehrerdaseins nicht groß genug festgehalten werden kön nen. Wir erleben weiterhin schwierige Ar beitsbedingungen – wie eine zu hohe Unterrichtsverpflichtung, große Klas sen und eine Zunahme administrativer Belastungen, die unsere Kernaufgabe, das Unterrichten, beeinträchtigen. Die Probleme haben sich verviel facht: Jedes vierte Kind kann am Ende der Grundschulzeit nicht wirklich lesen und schreiben. Schülerinnen und Schüler haben große Defizite in Deutsch und in Ma thematik. Sie können sich schwer kon zentrieren und ihnen fehlt es allzu oft an Disziplin. Wir erleben in den Schu len einen deutlich gestiegenen Förder- und Erziehungsbedarf, nicht zuletzt wegen gravierender Defizite im Sozial verhalten in der Schülerschaft. Eltern ziehen sich mehr und mehr aus der Erziehungsarbeit zurück und überlassen ihre Kinder häufig unkon trolliert den sozialen Medien mit den bekannten Folgen. Für uns Lehrkräfte bedeutet das im schlimmsten Fall,

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Foto: hphv

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