CF_03_2020

MENSCHEN

des Kaiserschnitts konnten die Ärz- te schnell reagieren. „Und Zeit ist der entscheidende Faktor für die späteren Folgen einer Blutung im Kopf“, bestätigt auch Dr. Pantea Pape, Ärztliche Leitung des Neu- rologischen Therapiecentrums und Chefärztin der Klinik für Neurologi- sche und Fachübergreifende Früh- rehabilitation im St. Marien-Hospital. „ICH KONNTE MICH NICHTVERSTÄNDLICH MACHEN.“ Sibylle Sandmann erwacht in der Uniklinik. Eine Freundin ist bei ihr. Die 34-Jährige versteht sie gut, aber sie selbst kann sich nicht verständ- lich machen. Ihr Sprachzentrum ist betroffen. Alles, was links von ihr passiert, nimmt sie nicht wahr. An Sitzen oder gar Aufstehen ist nicht zu denken. Es folgen Wochen der Reha, zuerst im Krankenhaus und im Anschluss eine stationäre Reha, gut eine Autostunde von zuhau- se entfernt - auch über Weihnach- ten. „Das war die schlimmste Zeit.“ Für den vierjährigen Sohn war die Mama weggegangen, um mit dem neuen Geschwisterchen zurückzu- kommen. „Wir mussten auf jeden Fall vermeiden, dass er dachte, der kleine Bruder sei schuld, dass ich nicht mehr nach Hause komme.“ „MEIN GEHIRN HATTE MEINE LINKE SEITE VERGESSEN.“ Für die junge Mutter beginnt nun der Kampf zurück ins Leben. Nach dem

schauen. Sie möchte allen Mut ma- chen, die noch kämpfen.

langen Liegen und den Medikamen- ten, hatte sie 30 Kilo zugenommen; die Muskulatur musste wiederauf- gebaut werden. „Mein Gehirn hatte meine linke Seite komplett verges- sen“, beschreibt sie ein Phänomen, das Mediziner ‚Neglect‘ nennen; eine Störung im Gehirn, die dazu führt, dass der Patient eine Seite sei- ner Umgebung und seines Körpers nicht wahrnimmt. Doch Sandmann weiß, wofür sie kämpft, und macht schnell Fortschritte. Am 29. Januar 2020, vier Monate später, kommt sie zur ambulanten Rehabilitation in das Neurologische Therapiecen- trum (NTC) am St. Marien-Hospital. Jetzt kann sie mittags wieder nach Hause. Ein kleines Stück Normalität für die Familie. Nicht zuletzt durch das Training mit dem Therapieroboter Lokomat ver- bessert die junge Frau ihr Gangbild weiter. Doch dann unterbricht das Coronavirus die Reha. Doch sie gibt nicht auf. Statt am Rollator, geht sie mit dem Kinderwagen spazieren. „Das kann ich auch allen älteren Menschen empfehlen, wenn sie En- kel haben. Das fällt dann auch nicht so auf“, erzählt Sandmann lächelnd. Sie hat Grund, stolz auf sich zu sein. Inzwischen geht sie ohne Stock und auch die zusätzlichen Kilos sind schon fast wieder verschwunden. Was bleibt ist die Frage, warum ihr das passiert ist. Eine Frage, auf die es keine Antwort gibt. (N.H.)

Nachdem sie bei der Geburt ihres ersten Sohnes einen Blinddarm- durchbruch erlitten hatte, sollte die zweite Geburt ohne Drama verlau- fen. Sie selbst habe fünf Geschwis- ter, erzählt die junge Mutter. Kin- derkriegen sei keine große Sache, habe sie gedacht. Doch während des Kaiserschnitts wurde ihr plötz- lich schwindelig. „Betäubt ist man ja nur lokal, ich konnte dem Anästhe- sisten sagen, dass es mir nicht gut geht.“ Dann ging alles sehr schnell. Das Baby wurde geholt und sie per Rettungswagen in die Uniklinik ge- bracht. Zurück blieb ihr Mann mit dem Neugeborenen. Acht Stunden später kommt die Nachricht, dass seine Frau am Leben sei. „MEIN KIND HAT MIR DAS LEBEN GERETTET.“ Während des Kaiserschnitts war im Kopf der jungen Frau ein Blutge- rinnsel, ein Aneurysma, geplatzt. Es musste sofort operiert werden. Und nur, weil so schnell reagiert wurde, konnte das Schlimmste verhindert werden. „Passiert wäre das sowie- so“, sagt sie. „Wäre es zwei Tage später zuhause gewesen, vielleicht mit dem Baby auf dem Arm…“ Da- ran will sie gar nicht denken und ist sicher: „Das Kind hat mir das Leben gerettet.“ Nicht nur das. Während

CellitinnenForum 03 | 2020 67

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