03_2024_einfachCellitinnen_interaktiv_final_06.08.2024

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Interkulturelle Kompetenzen in der Psychiatrie Mit der zunehmenden Vielfalt an Kulturen und Ethnien spielt die Verfügbarkeit mul tikultureller Behandler in der psychischen Gesundheit eine entscheidende Rolle. F ür die MARIENBORN gGmbH arbeiten Men schen aus 52 Nationen, viele von ihnen im ärztlichen und therapeutischen Dienst. Dr.

der deutschen Sprache als primäres Kommuni kationsinstrument die Muttersprache und die kulturellen Hintergründe ihrer Patienten verste hen, von entscheidender Bedeutung sein. Schil ling unterstreicht diesen Aspekt: „Patienten mit Migrationshintergrund machen ihrem Bevölke rungsanteil entsprechend einen wichtigen Teil unserer Klienten aus. Zum einen stellt natürlich die Sprachbarriere sehr oft ein Hindernis für die Behandlung in der Psychiatrie und Psychothera pie dar, so dass eine gute Versorgung ohne mut tersprachliche Behandler kaum noch erreicht werden kann. Zum anderen können es aber auch, wenn die Sprache keine Barriere darstellt, die kulturellen Unterschiede sein, die den Aufbau einer vertrauensvollen therapeutischen Bezie hung und letztlich den Behandlungserfolg behin dern.“ Interkulturelle Kompetenz ist somit im mehr fachem Sinn erforderlich und betrifft nicht nur die Sprachkompetenz, sondern auch ein tiefes Verständnis für kulturelle Normen, Werte und Traditionen der Patienten. Dies befähigt zum verstärkten Einfühlungsvermögen gegenüber den Lebenserfahrungen und Traumata. Darüber hinaus können sprachliche und kulturelle Miss verständnisse leichter vermieden werden. Kultursensibilität Multikulturelle geschulte Behandler sind nicht nur für die Behandlung von Patienten mit Migra tionshintergrund wichtig sind, sondern auch für die Förderung kultureller Vielfalt und Integration in der Gesellschaft insgesamt aber auch im beruf lichen Umfeld im Speziellen. Darum sieht Schil ling es als erforderlich an, stärkere Kultursensibi lität im gesamten Team zu entwickeln, weil dies eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg von Diagnostik und Therapie sei. Dies gelinge umso besser, je mehr das Behandlungsteam durch den interkulturellen Austausch voneinander lerne. Für ihn ist klar, dass durch den zunehmenden Fachkräftemangel im Gesundheitswesen eine qualitativ hochwertige Medizin zukünftig nur mit der Hilfe und Unterstützung durch qualifi zierte Mitarbeiter aus dem Ausland möglich sein werde. Behandlungsteams würden zunehmend multikulturell aufgestellt, was für alle im Hinblick auf das gegenseitige Vermitteln von Wissen und Kultursensibilität eine große Chance biete und so auch das gesellschaftliche Zusammenleben be reichere. (I.O)

lichst auch multikulturell aufgestelltes Team, dazu beiträgt, eine inklusive und respektvolle Therapie zu gewährleisten, um den individuellen Bedürfnissen der Patienten gerecht zu werden. Hinzukommt, dass mit fortschreitender Ents tigmatisierung, psychischer Erkrankungen und gleichzeitig steigendem Bewusstsein der Bevöl kerung für psychische Gesundheit die psychiat rischen Fachkliniken der Cellitinnen-Marienborn einen steigenden Behandlungsbedarf und ver mehrt Therapieanfragen verzeichnen. Hierunter befinden sich zunehmend Patienten mit gerin gen bis nicht vorhandenen deutschen Sprach kenntnissen. Fluchterfahrungen Gerade bei Patienten mit Fluchterfahrung kann ein Behandler mit einer interkulturellen Kompe tenz ausschlaggebend für den Behandlungser folg sein. Radermacher-Said erklärt den Grund dafür so: „Wenn alles Vertraute inklusive Spra che, Kindheitserinnerungen, Ressourcen, Rituale und vieles mehr zurückgelassen werden muss te, der zukünftige Wohnort extrem anders ist oder noch gar nicht klar ist, wohin die Reise geht, und es als Erschwernis hinzukommt, sprachli che, kulturelle und behördliche Schwierigkeiten meistern zu müssen, dann ist die Gefahr der psychischen Dekompensation, Traumatisierung, Radikalisierung oder gar kriminellen Entgleisung besonders groß. Insofern ist es für alle Beteilig ten, auch für die Einheimischen, ein Gewinn, diese Herausforderung gut zu meistern. Psycho logisch betrachtet, führten die Entwurzelung zu einer Auflockerung der Identität und Ich-Struk turen, der Verlust der Heimat zu einem Verlust des ‚Wir-Gefühls', verbunden mit viel Stress, Angst, Überforderungsgefühlen einerseits, aber auch mit Trauer um die verlorene Heimat an dererseits. Bei genug psychischer Stabilität und Neugier ermöglicht diese Auflockerung den Ein bau neuer Elemente in die eigene Identität. Bei Überforderung aber droht Destabilisierung mit Regression bis hin zum Zerfall in eine extrem hilf lose Rolle oder gar Verlust des Lebenswillens.“ Diese Patienten können aufgrund kultureller Un terschiede und Sprachbarrieren Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle und Gedanken hierzulande auszudrücken, was die Diagnosestellung und Behandlung erschwert. In solchen Fällen kön nen Behandler, die neben der Beherrschung

Sara Bienentreu, Ärztliche Direktorin, und Samia Radermacher-Said, Oberärztin der Cellitinnen Marienborn Fachklinik für Psychiatrie und Psy chotherapie in Zülpich, sowie der Ärztliche Di rektor der Cellitinnen-Marienborn St. Agatha Fachklinik für Seelische Gesundheit, Dr. med. Hans-Christian Schilling, erklären, warum multi kulturelle Behandler unverzichtbare Akteure im Streben nach einer umfassenden und hochwer tigen psychischen Gesundheitsversorgung sind ,und welche Chancen dies für die gesellschaftli che Entwicklung birgt. Kulturelle Vielfalt „Der Anstieg der Migrationsbewegungen in den letzten Jahren hat die kulturelle Vielfalt in Deutschland und auch die damit verbundenen Herausforderungen vermehrt in den Fokus ge rückt“, untermauert Bienentreu die Relevanz des Themas. Gerade im Bereich der sprechen den Medizin sei es umso bedeutsamer, die Bar rieren, die sowohl durch Sprache als auch durch kulturelle Unterschiede entstehen, zu überwin den. Psychische Gesundheit und Krankheit wür den in den verschiedenen Kulturen unterschied lich wahrgenommen und auch behandelt, was nicht nur eine Quelle von Missverständnissen darstellt, sondern auch eine Ressource sein kön ne, die es zu nutzen gelte. Bienentreu ist sich sicher, dass ein interkulturell geschultes, mög

Grafik: Getty Images

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