01_2016

SOZIALES

Ja, weil bei der Verdichtung der Einfa- milienhausquartiere weniger die bauli- che Verdichtung im Vordergrund steht als die Einwohnerverdichtung.Wenn ein Einfamilienhaus, das von einer Person bewohnt wird, an eine fünfköpfige Fami- lie verkauft wird, findet eine fünffache Einwohnerverdichtung statt, ohne dass sie einen Pinsel in die Hand genommen haben. Im Zentrum steht also die Frage der Umzugsmobilität. Andererseits gibt es heute auch viele Einfamilienhaus- quartiere an bester Lage direkt neben Bahnhöfen, die durchaus transformiert und baulich deutlich verdichtet werden könnten. Dazu sind aber Kooperations- prozesse mit den Privateigentümern notwendig, die entweder verkaufen oder die Bereitschaft haben müssen, zwi- schenzeitlich – also während einer Bau- phase – auszuziehen. Wie kann so ein Prozess aussehen? Was die Umzugsmobilität in den Ein­ familienhausquartieren betrifft, würde ich als Gemeinde wie gesagt den Kon- takt zu Liegenschaftsverwaltungen oder Eigentümern suchen, die Wohnungen vermieten oder am Bauen sind, sie auf das Zielpublikum der Pensionierten auf- merksam machen und sie bei der Ver- marktung unterstützen. Damit kann Be- wegung in die Einfamilienhausquartiere kommen. Was die bauliche Verdichtung der Quartiere betrifft, würde ich als Ge- meinde einen Prozess starten, zu dem ich Privateigentümer aus bestimmten Quartieren nach ihren Bedürfnissen be- fragen und mit ihnen Optionen für die Zukunft diskutieren würde. Im besten Fall münden diese in einen etappierten Quartierplan für eine Verdichtung, im schlechtesten Fall hat die Gemeinde eine Befragung oder eine Veranstaltung ge- macht, die ergebnislos geblieben ist.

Viele Gemeinden überlegen, wie sie genügend Wohnraum für die Alten an- bieten können.Was raten Sie? Ich rate ihnen, den Kontakt zu grösseren Liegenschaftsverwaltungen und zu Ei- gentümern mit grösseren Portfolios, seien diese privat, institutionell oder ge- meinnützig, zu suchen. Ein grosser Hebel ist, den Vermietungsprozess von Woh- nungen stärker an die Informationsbe-

Wissen Sie warum? In der Stadt liegt es an der hohen Dyna- mik auf dem Mietwohnungsmarkt. Pen- sionierte haben ein grösseres Informa­ tionsbedürfnis inBezugauf die zukünftige Wohnung und die Wohnumgebung. Sie müssen sich auch viele logistische Ge- danken machen, weil sie einen Haushalt verlegen müssen, in dem sich viel ange- sammelt hat, und weil sie ihrem sozialen

Umfeld erklären müssen, wes- halb sie umziehen. Deshalb dauern Entscheidungen län- ger. Auf dem Mietwohnungs- markt gibt es diese Zeit heute nicht, weil Eigentümer den Leerstand möglichst kurz hal- ten möchten. In Gemeinden, die einen hohen Anteil an Ein-

dürfnisse und Entscheidungs- prozesse von Pensionierten anzupassen. Der zweite Hebel ist, für eine gute Quartierver- sorgung zu sorgen, was auch Angebote zur Unterstützung und Betreuung umfasst. Das reicht von niederschwelligen Hausbesuchen bis zur Spitex.

Leben statt einer Person fünf in einem Haus, ist auch das Verdichtung.

Gemeinden sollten ein Auge darauf ha- ben, dass grössere Quartiere mit solchen Angeboten ausgestattet sind. Gemein- den können Opportunitäten nutzen und versuchen, in Neubausiedlungen ent- sprechendeAngebote in Kooperationmit den Eigentümern unterzubringen. Und letztlich liegt es in der Hand der Gemein- den, die Wohnraumentwicklung, das heisst die baulicheVerdichtung, in denje- nigen Quartieren zu fördern, die bereits gut erschlossen und versorgt sind, denn dies sind die nachgefragten Orte der Pen- sionierten. Das muss nicht zwingend di- rekt imZentrum sein, aber imUmfeld der Bus- und Bahnstationen. Gerade in Einfamilienhaussiedlungen werden die Menschen zunehmend älter, weil Junge heute anders wohnen wollen.Was schlagen Sie vor? Die Einfamilienhaussiedlungen werden älter, weil die Privateigentümer älter werden. Solche Siedlungen stehen nach wie vor in der Gunst von jungen Men- schen, wenn sie einigermassen gut er- schlossen sind. Auch hier gibt es zwei Hebel: Damit solche Quartiere attraktiv für junge Menschen sind, müssen alte Einfamilienhäuser umgebaut oder ab- gerissen werden können, denn sie ent- sprechen nicht mehr den Wohnbedürf- nissen der heutigen Zeit. Gefragt sind also Planungsinstrumente, die dies zu- lassen. Auf der anderen Seite gehören diese Häuser ja jemandem, meist einer älteren Person, und nur wenn diese Per- son einen Anreiz hat, das Haus zu ver- kaufen, ist eine «Verjüngung» möglich. Dazu braucht es einWohnungsangebot in der Gemeinde oder in der Region, wie ich es vorhin beschrieben habe. Stadtplaner Jürg Sulzer, (vgl. SG 11/2015) sieht wenig Potenzial, Ein- familienhaussiedlungen nach innen zu verdichten. Sie sehen das anders?

familienhäusern und einen alten Bestand an Mietwohnungen haben, gibt es zu- dem wenige Angebote, die den hohen Ansprüchen und der Zahlungsbereit- schaft von Pensionierten entsprechen. Ist es denn finanziell interessant,Wohn- raum für ältere Menschen anzubieten? Wenn Wohnraum auf die Immobilie re- duziert wird, ist Wohnraum für ältere Menschen nichts anderes als Wohnraum für junge Menschen: Mietwohnungen, Genossenschaftswohnungen oder Ei- gentumswohnungen, an guter Lage und mit möglichst wenigen baulichen Hin- dernissen. Die grosse Umstellung muss bei den Liegenschaftsverwaltungen statt­ finden. Sie müssen sich mehr auf die Bedürfnisse der älteren Mieterschaft ein­ stellen. Eigentümer können sich Gedan- ken dazu machen, ihren Wohnraum für ältere Personen aufzuwerten, indem sie dazu beitragen, dass Betreuung- und Pflegeangebote im Quartierumfeld vor- handen sind. Pensionierte nutzen diese Angebote beim Einzug noch nicht, sind aber froh, wenn sie die Sicherheit auf solcheAngebote haben. Das heisst, dass sich Eigentümer beispielsweise an ei- nem solchen Angebot beteiligen, als zusätzliche Dienstleistung für die Mieter- schaft, oder dass sie in ihren Erdge- schossflächen entsprechende Anbieter einmieten. Nochmals, warum sollen Eigentümer diese Last auf sich nehmen?Wie sind sie zu motivieren? Aus Sicht der Eigentümer und Liegen- schaftsverwaltungen spricht für ältere Mieterinnen und Mieter, dass diese in der Regel nach dem Einzug lange in der Wohnung bleiben und nicht nach weni- gen Jahren wieder ausziehen, zuverläs- sig die Miete zahlen, dass sie Sorge zur Wohnung tragen und zu einer stabilen Nachbarschaft beitragen.

Interview: Peter Camenzind

Informationen: www.tinyurl.com/wohnungswirtschaft

Joëlle Zimmerli arbeitet an der Hochschule Luzern und untersucht den Wohnungsmarkt im Zusammenhang mit demografischen Ver- änderungen. Sie hat Soziologie studiert und zur Wohnmobi-

lität der Babyboo- mer promoviert.

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SCHWEIZER GEMEINDE 1 l 2016

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