Fortbildung aktuell [Das Journal] 2/2017

MEDIKAMENTE WÄHREND DER STILLZEIT

aus dem Plasma in die Muttermilch über- treten. Da zum Teil auch Metaboliten für Wirkungen und unerwünschte Arzneimit- telwirkungen verantwortlich sein können, sollte man beides imBlick behalten. Bei der passiven Diffusion ist die Arzneistoffkon- zentration in der Milch direkt proportional zur Plasmakonzentration. In diesen Fällen sind die folgenden Punkte zur Beurteilung zu beachten: Die Plasmaeiweißbindung von Wirkstof- fen und Metaboliten hat Einfluss auf die Diffusion in die Muttermilch. Je stärker ein Wirkstoff – und das gleiche gilt auch für seine Metaboliten – an Plasmaeiweiße gebunden ist, desto geringer ist der Anteil der freien Arzneistoffmoleküle im Plasma, die passiv in die Muttermilch diffundieren können. Stehen zwei vergleichbare Wirk- stoffe zur Behandlung einer Stillenden zur Verfügung, sollte man dem Wirkstoff mit der höheren Plasmaeiweißbindung den Vorzug geben. Bei einer Plasmaeiweißbin- dung von über 85 Prozent ist eine Gefähr- dung des Säuglings wegen der kaum vor- handenen Diffusion von Wirkstoffen oder Metaboliten in die Muttermilch weitge- hend ausgeschlossen. Da die Muttermilch ebenfalls bindungsfähige Eiweißstruktu- ren enthält, wenn auch in deutlich gerin- gerem Umfang als das mütterliche Plas- ma, lässt sich das Gleichgewicht zwischen freien und ungebundenen Molekülen auch zwischen den in der Muttermilch befindli- chen und den frei im Plasma verfügbaren Molekülen beobachten. Wie hoch jedoch das Gleichgewicht zugunsten der Muttermilch verschoben ist, hängt von der Molekülgröße, der Lipo- philie und der Basizität des Wirkstoffs oder der Metaboliten ab. 6,8 Lipophile Wirkstoffe und Metaboli- ten diffundieren wegen des im Vergleich zum Plasma höheren Fettgehaltes gut. Die Wirkstoffe reichern sich in der Mutter- milch an. Fällt der Plasmaspiegel der Sub- stanzen ab, so rediffundiert der Wirkstoff in Abhängigkeit seiner Lipophilie bis ein Steady-State erreicht ist. Dieser Prozess der Rediffussion verläuft bei extrem lipophilen Wirkstoffen oder Metaboliten jedoch so zeitverzögert oder in so geringemUmfang, dass bei diesen Stillenden ein gezieltes Plasmaeiweißbindung, Lipophilie und pH-Gefälle

ABBILDUNG 2: Ist die Ernährung der Mutter während der Stillzeit ausgewogen, ist die Ergänzung von Vitaminen und Mineralstoffen nicht erforderlich.

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wird durch einen langsam steigenden Prolaktinspiegel bereits während der Schwangerschaft auf die Milchprodukti- on durch Bildung von Milchbläschen vor- bereitet. Nach der Geburt steigt der Pro- laktinspiegel stark an: Das Drüsengewebe ist über Milchgänge mit den Brustwarzen verbunden. Der Warzenhof ist nerval mit den Milchgängen verbunden. Saugt der Säugling, löst er über die Nervenendigun- gen im Warzenhof den Milchspendere- flex aus: Die Milch schießt etwa drei bis vier Tage nach der Geburt ein, nach zehn Tagen ist die volle Milchbildungsleistung erreicht. Je nach Häufigkeit und Intensität des Saugens reguliert der Säugling dann den Prolaktinspiegel und damit Milch- menge und -qualität. Die Muttermilch selbst lässt sich als eigenständiges phar- makologisches Kompartiment begreifen, also als weiterer Verteilungsraum. Die Milchbildung wird durch einige Arzneistoffe gehemmt, wie Ergotamin- derivate und Estrogene, weil diese die Prolaktinproduktion unterdrücken. Arz- neimittel mit antidopaminerger Wirkung hingegen, wie Phenothiazine oder das atypische Neuroleptikum Sulpirid, sind milchbildungsfördernd. 6,8

Der Umbau des Brustgewebes in den ersten zehn Tagen nach der Geburt bis zur vollen Ausreifung der Milchbildung begünstigt die Weitergabe von Immun- globulinen und mütterlichen Lymphozy- ten, dem „Nestschutz“. Die Kapillarwände der alveolären Zellen sind in diesem Zeit- fenster noch relativ durchlässig. Deshalb besteht während dieser Zeitphase das höchste Risiko für den Übertritt von grö- ßeren Arzneistoffmolekülen in die Mut- termilch. Nach zehn Tagen kommt es zum Aufbau der alveolären Lipidmenbran, die die Durchlässigkeit für Moleküle mit ei- ner Molekularmasse von mehr als 200 ohne aktive Transportsysteme unmöglich macht. 6,8 Während dieser Zeit ist deshalb ein sorgfältiges Auswählen von für den Säugling unbedenklichen Arzneistoffen einerseits und andererseits eine erhöhte Aufmerksamkeit auf mögliche Reaktionen des Säuglings bei einer notwendigen müt- terlichen Therapie angezeigt.

Welche Substanzen können überhaupt in die Muttermilch übergehen?

Sowohl die Arzneistoffe selbst als auch ihre Metaboliten können durch passive Diffusi- on oder mittels aktiver Transportprozesse

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