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FOKUS ALTERSPFLEGE

zwar «noch nicht bahnbrechend, aber durchaus ermutigend», wieAndreas Sid- ler, Bereichsleiter Forschung und Wis- sensvermittlung bei der Age-Stiftung, in einem Kommentar feststellt. Bereits hät- ten sich eine beachtliche Anzahl statio- närer und ambulanter Anbieter von Be- treuung und Pflege inVerbundlösungen zusammengefunden. Die Studie zeige aber auch, dass trotz vielversprechen- den Beispielen noch viel Überzeugungs- arbeit zu leisten ist. DieVerbände hätten diese Pflicht erkannt, schreibt Sidler. So habe Curaviva Schweiz 2010 dasThema «Verbundlösungen» als Schwerpunkt gesetzt, der Spitex Verband Schweiz habe die horizontale und vertikale Ver- netzung der Behandlungskette sowie die Koordination der Schnittstellen zwischen den Leistungserbringern in die Spi- tex-Strategie 2015 integriert. Eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer wünscht sich, möglichst lange in den eigenen vierWänden autonom zu bleiben. Vernetzung unter den Dienst- leistern ist ein Schlüssel, um vielfältige und gute Wohnmöglichkeiten für alte Menschen mit einem flexiblen und durchlässigen Betreuungs- und Pflege- angebot anzubieten. Die «Schweizer Ge- meinde» zeigt in dieser Ausgabe eine Reihe von kreativen Ansätzen, wie das Prinzip «ambulant und stationär» ge- setzt werden könnte. Denn die ambu- lante Pflege und Betreuung sind aus Sicht der Kommunalverbände zu stär- ken, aber nicht einseitig. Ziel sind mög- lichst lückenlose und effiziente, auf die Patienten ausgerichtete Versorgungs- und Betreuungsketten. Die Autoren der Avenir-Suisse-Studie unterstreichen ihrerseits, dass die Art der Betreuung von Betagten nicht durch finanzielle Anreize, sondern in Abhän- gigkeit von ihrer Pflegebedürftigkeit be- stimmt werden soll. Leicht Pflegebedürf- tige sollten daheim, in Tagesstrukturen oder in betreuten Wohnungen gepflegt werden, Schwer Pflegebedürftige im Heim. Das ist, wie Untersuchungen ge- zeigt haben, längst nicht immer der Fall: Es gibt Pflegeheimbewohner, die eigent- lich keine Pflege bräuchten und nur des- halb im Heim sind, weil sie sich Pflege- dienstleistungen sonst nicht leisten könnten. Denn aktuell werden gemäss dem Krankenversicherungsgesetz (KVG) nur Ergänzungsleistungen (EL) für die Pflege ausgerichtet, nicht aber für die Betreuung. Im Unterschied zu Heim- Ambulant und stationär: Best-Practice- Beispiele kreativer Gemeinden Fehlende Ergänzungsleistungen für betreutesWohnen in der Kritik

taxen gibt es fürWohnungen mit betreu- tem Wohnen keine EL, weshalb sich wirtschaftlich Schwächere diese immer beliebteren Zwischenformen nicht leis- ten können. Angesichts des Potenzials für die Pflege zu Hause verlangen die Kommunalverbände, die intermediären Strukturen wie das betreute Wohnen seien auszubauen, um älteren Menschen zu ermöglichen, länger selbstständig oder mit ambulanter Unterstützung in einem eigenen Haushalt leben zu kön- nen. Dies bedeutet aus ihrer Sicht aber auch, dass die Inanspruchnahme von Kurzzeitaufenthalten in intensiver be- treuten Strukturen vereinfacht werden muss. Betreffend die laufende EL-Reform fordern sie beispielsweise im Hinblick auf eine bessere Koordination und Zu- sammenarbeit in der medizinischen Grundversorgung, tariflicheAnreize der- gestalt zu schaffen, dass es künftig leich- ter möglich wird, auch intermediäre Betreuungsstrukturen in Anspruch zu nehmen. Das Parlament beschäftigt sich mit der Frage der Finanzierung des be- treutenWohnens im Rahmen der laufen- den EL-Reform. Die Gesundheitskom- mission des Ständerats will prüfen, wie das betreute Wohnen im Alter bei der Berechnung der EL berücksichtigt wer- den könnte, damit unterstützungsbe- dürftige Menschen nicht gleich in ein Pflegeheim eintreten müssen.

** Verbundlösungen für die Pflege und Be- treuung imAltersbereich, Eine Studie von der Age Stiftung und Curaviva Schweiz in Koope- ration mit dem Spitex Verband Schweiz, durchgeführt vom Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie, Juni 2010.

Denise Lachat, Claudia Hametner

*Avenir Suisse, Kantonsmonitoring 7, Neue Massstäbe für die Alterspflege, Organisation und Finanzierung einer gesellschaftlich im- mer wichtigerenAufgabe, Jérôme Cosandey, unter Mitarbeit von Kevin Kienast.

Der Schweizerische Gemeindeverband kritisiert auch die weitere Belastung der öffentlichen Hand durch MiGeL

Ende 2017 entschied das Bundesver- waltungsgericht, dass die Entschädi- gung für die Verwendung von Mitteln und Gegenständen der gesetzlichen Liste (MiGeL) in Pflegeheimen durch die obligatorische Krankenpflegeversi- cherung (OKP) als Teil der gesamten Pflegekosten zu behandeln sei. Das bedeutet, dass MiGeL wie Verbands- material, Krücken, Hörhilfen nicht se- parat abgerechnet werden können, sondern lediglich mit dem vom Bun- desrat festgelegten, fixen Betrag der Krankenkassen abgedeckt werden. Mit anderen Worten: MiGeL-Kosten müs- sen über die Restfinanzierung und damit von der öffentlichen Hand ab- gegolten werden. Der Schweizerische

Gemeindeverband (SGV) hat diese Ent- wicklung, welche die Gemeinden zu- sätzlich zu den bereits steigenden Ausgaben für die Restfinanzierung weiter belastet, gegenüber dem Bun- desamt für Gesundheit (BAG) Anfang Jahr kritisiert. Denn ursprünglich sei die Absicht des Gesetzgebers gewe- sen, die neue Pflegefinanzierung für die OKP-Versicherung kostenneutral zu gestalten. Das BAG habe auch wieder- holt bestätigt, dass die Kosten für MiGeL-Produkte bei der Berechnung der Beiträge an die Pflegestufen nicht mitberücksichtigt worden seien. Der SGV verlangt, dass die Anpassung der Krankenkassenbeiträge an die OKP diese Kosten miteinschliesst.

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SCHWEIZER GEMEINDE 2 l 2018

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