Blickpunkt Schule 5/2021

Schulen setzen daher schon länger auf unterrichtsflankierende Förder- maßnahmen. Allerdings kann es eine volle Kompensation von Lerndefiziten nicht geben, ob diese pandemiebe- dingt sind oder nicht. Es handelt sich hier um ein ’schulstrukturelles‘ Pro- blem. Unterrichtserfolge oder -fort- schritte sind eben auch abhängig von Begabung, frühkindlicher Prägung und letztlich vom Leistungswillen des einzelnen Kindes. Dieser wird oft vom Elternhaus geprägt, das mehr oder weniger bildungsorientiert sein kann. Hier spielen die sozialen Faktoren durchaus eine große Rolle, die staatli- cherseits gezielt beeinflusst werden können, zum Beispiel durch staatlich finanzierte Bildungsmaßnahmen. Schulen tun sich schwer, Kompen- sationskurse zu organisieren. Die Leistungsdefizite betreffen letztlich nicht selten viele Unterrichtsfächer, offenbaren individuelle Schwächen und Lücken, die auch in Kompensati- onskursen nur schwer bearbeitet wer- den können. Wie steht es um die Zukunft des Lehrerberufs ? Dieser sollte dringend beworben werden, und zwar durch das Ausräumen von lange bekannten Mängelfaktoren. Kontraproduktiv ist sicherlich auch, die Lehrperson – ge- mäß einer angeblich progressiven schulpolitischen Idee – zum Modera- tor von Lernprozessen zu degradieren. Reformerische Blütenträume von selbst lernenden Schülern müssen eingehegt werden. Skepsis löst ver-

ständlicherweise die naive Selbstlern- euphorie mancher Lehrkräfte aus, nicht nur weil die Schwächeren darun- ter leiden. Lernen geschieht meist nicht im Spaßmodus, quasi von alleine und ganz reibungslos. Schulisches Lernen ist nun einmal mit Wissbegier- de, Anstrengung, konzentrierter Übung und Leistungsanerkennung verbunden. Auch sollten Lehrkräfte ihren Schülerinnen und Schülern ge- rade in der heutigen Zeit verlässliche Ordnungsstrukturen und klare Orien- tierungen beim Lernen nicht vorent- halten. Gleichwohl muss die Politik der Instrumentalisierung der Schule als ’Sozialagentur’ entgegenarbeiten. Schule darf nicht weiter zum ’Repara- turbetrieb’ für alles verstanden wer- den, was in unserer Gesellschaft schiefläuft. Links-progressive Reformen sind keine Naturgewalten, ihnen müssen wir unsere Sicht entgegensetzen! Die Stärkung der pädagogischen Identität der Lehrperson geht einher mit einer Anerkennung der Schule als konstitu- tiver Faktor für unsere Gesellschaft und als ’Repräsentantin der Kultur’ (vgl. Roland Reichenbach von der Universität Zürich, 2013) . Lehrkräfte benötigen die Chance zu lehren im wahrsten Sinne des Wortes, beruhend auf ihrem soliden Fachwis- sen, überzeugt vom Fachgegenstand, auf einem angemessenen Niveau. Aus Schülersicht kommt es ganz stark auf Interessantheit des Unterrichts, in- haltliche Klarheit sowie die Motivie-

rungskraft der Lehrperson an, und natürlich auf das Lehrer-Schüler-Ver- hältnis. Eine Lehrperson wirkt dann lernförderlich, wenn sie ’Kapitän’ der Lerngruppe ist – und nicht nur ihr Steward. Wie komplex der Lehrerberuf ist, brachte bereits vor über 33 Jahren ein Beitrag in einer Wochenzeitschrift pointiert (heute sprachlich nicht mehr politisch korrekt) zum Ausdruck: »Wahrscheinlich gibt es nicht viele Berufe, an die die Gesellschaft so wi- dersprüchliche Anforderungen stellt: Gerecht soll er sein, der Lehrer, und zugleich menschlich und nachsichtig, straff soll er führen, doch taktvoll auf jeden Schüler eingehen, Begabungen wecken, pädagogische Defizite aus- gleichen, Suchtprophylaxe und Aids- Aufklärung betreiben, auf jeden Fall den Lehrplan einhalten, wobei hoch- begabte Schüler gleichermaßen zu berücksichtigen sind wie begriffsstut- zige. Mit einem Satz: Der Lehrer hat die Aufgabe, eine Wandergruppe mit Spitzensportlern und Behinderten bei Nebel durch unwegsames Gelände in nordsüdlicher Richtung zu führen, und zwar so, dass alle bei bester Laune und möglichst gleichzeitig an drei ver- schiedenen Zielorten ankommen.« (Valentin Herzog in der ’Zürcher Welt- woche’ vom 2. Juni 1988) . Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Energie für inspirierte, leidenschaft- liche Unterrichtsstunden und grüße herzlich Ihr Reinhard Schwab

Editorial

4

Bild: Li Ding/AdobeStock

Der Hessische Philologenverband wünscht frohe Weihnachten, einen guten Rutsch und erholsame Ferien

SCHULE

Made with FlippingBook. PDF to flipbook with ease