Blickpunkt Schule 1 2025
Bezug für Schülerinnen und Schüler mit Migrationsgeschichte haben, sie darf nicht auf die deutsche Geschich te verengt werden. ? Gibt es spezielle Bildungsinitia tiven oder Projekte in Hessen, die das Verständnis für jüdisches Leben fördern? ! Das hängt häufig von den einzel nen Schulen ab, aber es gibt au ßerschulische Bildungsinstitutionen, mit denen das Thema angegangen werden kann, zum Beispiel das Jüdi sche Museum in Frankfurt, das viel fältige Bildungsprogramme anbietet. Um eine spürbare Wirkung zu er- reichen, müssen allerdings flächen- deckende Bildungs- und Beratungs angebote geschaffen werden. Zur Prävention von Antisemitismus kann auch das Begegnungsprogramm des Zentralrats der Juden dienen, ‘Meet a Jew’, bei dem zwei Juden in Schul klassen gehen und auf Augenhöhe mit den Schülerinnen und Schülern ihr persönliches Judentum vorstellen und Fragen beantworten. Dabei geht es weniger um Antisemitismus, sondern um das Kennenlernen von lebendigen Juden und Einblicke in das gelebte Judentum, was präventiv gegen Anti semitismus wirken kann. Dazu zählen auch Austauschprogramme mit israe lischen Schulen. Wer keine Möglichkeit hat, an ei nem persönlichen Austausch teilzu nehmen, kann sich auch die virtuelle Ausstellung ‘Tolerant statt ignorant’ anschauen. Sie bietet vielseitige Materialien und Inhalte zum Thema Judentum und Antisemitismus mit Fokus auf Hessen. Außerdem können Lehrkräfte der Sekundarstufen I und II an allgemeinbildenden und berufs bildenden Schulen das Material für ihren Unterricht heranziehen 4 . ? Wie ist die Situation an hessischen Schulen seit dem 7. Oktober? ! Die Recherche- und Informations stelle Antisemitismus Hessen (RIAS Hessen) dokumentierte insgesamt 528 antisemitische Vorfälle für das Jahr 2023, eine Verdreifachung im Vergleich zum Vorjahr. Davon fanden
127 Fälle an einer Bildungseinrichtung statt, den am häufigsten dokumen tierten Tatort. 56 antisemitische Vor fälle entfielen auf hessische Schulen und 51 Vorfälle auf hessische Hoch schulen. Und das sind nur die gemel deten und dokumentierten Fälle! Die Dunkelziffer ist deutlich höher. Der 7. Oktober 2023 hat die Bedeu tung und Dringlichkeit des Kampfes gegen Judenhass noch deutlicher ge macht. Jüdische Schülerinnen und Schüler erleben zunehmend mehr verbale Gewalt und müssen Angst um ihre körperliche Unversehrtheit ha ben. Das führt nicht selten zu einem Rückzug aus den staatlichen Schulen und eine Zuwendung zur jüdischen Schule in Frankfurt. ? Wie kann der Kampf gegen Anti semitismus flächendeckend und strukturell nachhaltig verankert werden? ! Als Präsidiumsmitglied des Zen tralrats der Juden in Deutschland betrachte ich die Thematik über Hes sen hinaus. Der Zentralrat der Juden hat schon im Jahr 2021 gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz und der Bund-Länder-Kommission der Antisemitismusbeauftragten eine ‘Gemeinsame Empfehlung zum Um gang mit Antisemitismus in der Schu le’ 5 verabschiedet. Darin wurden zahl reiche Punkte aufgeworfen, die die Bildungsverwaltung ergreifen sollte, um Antisemitismus in der Schule zu begegnen. Eine zentrale Rolle nimmt die Qualifizierung der Lehrkräfte ein. ? Wo muss die Qualifizierung der Lehrkräfte ansetzen? ! Der wichtigste Punkt ist die Aus- und Weiterbildung. Es ist dringend erforderlich, dass Lehrkräfte befähigt werden, Antisemitismus zu erkennen, zu benennen und entsprechend han deln können. Dabei sollten nicht nur historische, sondern auch gegenwär tige, aktuelle Erscheinungsformen, wie der israelbezogene Antisemitis mus, vermittelt werden. Denn dieser ist aktuell virulenter und massiver denn je. Dabei gilt: Antisemitismus sucht sich regelmäßig neue Aus
drucksformen und ist kein geschicht liches Phänomen. Er taucht in immer neuen Gewändern auf und mobilisiert dabei unterschiedliche Gruppen. Not wendig ist eine Verankerung von Kenntnissen zu jüdischer Geschichte und Gegenwart sowie gerade und auch zu Israel, dessen Entstehungs geschichte und der geopolitischen Si tuation im Nahen Osten in den Lehr plänen. Es ist schön, etwas über die Kelten, die Germanen oder die deut schen Kaiser zu wissen. Aber die ge sellschaftsrelevante Musik spielt auf anderen Feldern. Wenn dies nicht endlich erkannt wird, wird die Zukunft nicht nur für Juden in Deutschland düsterer, sondern für alle, die einen freien, liberalen, rechtsstaatlichen und demokratischen Staat schätzen. Wissen und Handlungskompeten zen im Umgang mit Judenhass müs sen folglich in allen drei Phasen der Lehrkräftebildung (Ausbildung, Refe rendariat und Fortbildung) verpflich tend vermittelt werden, unabhängig davon, um welches Fach es sich han delt. Prävention und Intervention stellen eine fachunabhängige Quer schnittsaufgabe dar. Vom Sportlehrer bis zur Geschichtslehrerin sind alle gefordert. Dieser Kampf kann jedoch nicht von den Lehrkräften alleine geführt wer den. Er muss einem Gesamtkonzept folgen, das alle im System Schule und Bildung Beteiligten berücksichtigt, wo alle an einem Strang ziehen und die Verantwortung nicht wegschieben. Ich sehe hier vor allem die Schulleitungen in der Pflicht, das Thema prioritär zu behandeln und sich und das Kollegi um weiterzubilden. ? Können Sie ein Beispiel aus dem Schulalltag nennen? ! In politischen Ansprachen wird oft von ‘Wehret den Anfängen’ ge sprochen. Aktuell sehen wir in vielen Schulen jedoch antisemitische Schmierereien wie Hakenkreuze, Inti fada-Aufrufe, Hamas-Dreiecke oder durchgestrichene Davidsterne. Häufig wird diese Hasssymbolik zu spät oder gar nicht entfernt, auch weil am nächsten Tag häufig frische dazu
Titelthema
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SCHULE
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