5_2019

KOMMUNALER SORGENBAROMETER

und Aber fest: «Die Rekrutierung von geeigneten Personen für die Exekutiven ist ein chronisches Problem der Schwei- zer Gemeinden geblieben.» Zum glei- chen Schluss kommt Reiner Eichen- berger, Professor für Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Uni Freiburg: «Viele Kommunen haben Probleme, ihre Ämter zu besetzen.» Hilfreich wäre es nach seiner Ansicht daher, auch Kandi- daturen von aussen zuzulassen. Weniger, aber grössere Gemeinden Doch es gibt Lichtblicke: Merklich ent- schärft hat sich dieses Dauerproblem nämlich durch die stetig wachsende Grösse der Gemeinwesen. Weil in den letzten 20 Jahren gesamtschweizerisch immerhin rund einViertel aller Gemein- den eine Fusion eingegangen ist, hat die Zahl der Gemeinden in der Schweiz seit der Jahrtausendwende um rund 30 Pro- zent auf noch 2212 per Anfang 2019 ab- genommen. Und schon im laufenden Jahr könnte die Zahl auf unter 2000 ab- sinken. Für die Personalnöte der Kom- munen haben sich die zahlreichen Ge- meindefusionen der letzten Jahre segensreich ausgewirkt: Im Jahr 2005 bezeichneten noch 67 Prozent der Ge- meinden die Suche nach Kandidatinnen und Kandidaten als schwierig oder sehr schwierig. Aktuell ist es noch die Hälfte. Auffallend: Die grössten Sorgen bereitet die Besetzung der Ämter nicht etwa den Kleinstgemeinden mit wenigen hundert Einwohnern, sondern jenen Gliedstaa- ten mit 1000 bis 2000 Mitbürgern. Der naheliegende Grund: Offensichtlich fällt es den Angefragten in Orten, wo jeder jeden kennt, schwerer, Nein zu sagen. Ebenfalls keine Probleme stellt die Be- setzung der politischen Ämter für die Städte mit mehr als 20 000 Einwohnern dar. Dies, weil sie dem Personal attrak- tive und wettbewerbsfähige Konditio- nen bieten können. «Tatsächlich, Städte haben in der Regel weniger Schwierig- keiten, genügend Kandidaten für ein Exekutivamt zu finden», bestätigt Alex- ander Haus vom Institut für fortgeschrit- tene Studien in der öffentlichen Verwal- tung der Uni Lausanne. So konstant das Personalproblem im- mer wieder in den Vordergrund gerückt wird: Am stärksten gefordert oder sogar überfordert fühlen sich die Gemeinden heute nicht mehr bei diesemDauerbren- ner, sondern vor allem bei der Raum- und Zonenplanung sowie bei der Sozi- alhilfe, die vor allem den Städten klar am meisten auf demMagen liegt. Ein zuneh- mendes Problem stellt für viele Gemein- Raumplanung und finanzieller Spielraum belasten

den sodann die digitaleTransformation dar. DieAnsprüche und Herausforderun- gen sind in diesem Bereich markant ge- stiegen. Bei den Untersuchungen der Uni Lausanne haben sich die Bereiche Soziales, Gemeindeexekutive sowie Bau- und Zonenordnung als wichtigste Problemfelder der Gemeinden heraus- kristallisiert. «Und es scheint, als hätte sich der Problemdruck in den letzten Jahren insgesamt etwas erhöht», stellt Alexander Haus fest. Bernische Gemeinden sorgen sich nach einer Umfrage der «Berner Zeitung» ebenfalls stark um die Raumplanung, mehr noch aber um den immer kleineren finanziellen Spielraum und die steigen- den Beiträge in den Finanz- und Lasten- ausgleich. Sie können einen Grossteil ihrer Ausgaben nicht mehr beeinflussen und so kaum auf neue Situationen re- agieren. Für den relativ kleinen Bergkan- ton Uri sieht das Sorgenbarometer sehr ähnlich aus: Den höchsten Problemdruck empfinden die Urner Gemeindeschrei- ber bei der Gemeindeexekutive, beim Landschafts- und Ortsbildschutz, bei der Raum- und Zonenplanung, bei der Be- willigung von Baugesuchen und bei der Gemeindeverwaltung. Jede dritte Ge- meinde gibt laut ersten Erkenntnissen des Gemeindemonitorings 2017 an, in diesen Bereichen an ihre Leistungs- grenze zu stossen oder diese bereits überschritten zu haben. Dieser Wert habe in den vergangenen Jahren zuge- nommen, erklärt Studienleiter Reto Stei- ner. Als deutliche Erleichterung bezeich- nete die Hälfte der Urner Gemeinden die interkommunale Zusammenarbeit, etwa bei der Abwasser- undAbfallbewirtschaf- tung, der Feuerwehr und der Sozialhilfe. Steiners Feststellung: «Die Urner Ge- meinden sind sich bewusst, dass die Kleinheit ihren Preis hat, einen Preis, den aber auch andere Gemeinden im alpinen Bereich zu zahlen haben». Am Anschlag sehen sich ebenfalls viele Aargauer Gemeinden. Gemäss Teilaus- wertungen des Gemeindemonitorings 2017 ergeben sich vor allem bei der So- zialhilfe und bei der Betreuung vonAsyl- suchenden erhebliche Schwierigkeiten. Die befragten Gemeindeschreiber sind zudem der Ansicht, die aargauischen Ge- meinden seien von diesen Problemen deutlich stärker betroffen als der schwei- zerische Durchschnitt. Neben der Sozialhilfe und der Asylbe- treuung stossen vieleAargauer Gemein- den auch bei der Finanzverwaltung häu- figer an ihre Leistungsgrenzen. Dasselbe gilt laut Reto Steiner beim öffentlichen Aargauer Gemeinden klagen über Sozialhilfeprobleme

Verkehr, bei der Wasserversorgung, bei öffentlichen Bauten sowie beim Abwas- ser bzw. bei der Kanalisation. Kriminali- tät oder Drogenprobleme machen 40 Prozent der Aargauer Gemeinden zu schaffen. Über 50 Prozent der Aargauer Kommunen sehen sich hier aber nicht tangiert. Am wenigsten sind kleine Ge- meinden mit diesen Herausforderungen konfrontiert, am häufigsten solche mit mehr als 5000 Einwohnern. Eher überraschend dürfte die Erkenntnis kommen, dass auch im wohlhabenden Kanton Zürich kleinere Gemeinden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben vermehrt an ihre Leistungsgrenzen stossen. Diese Entwicklung habe sich mit der Einfüh- rung des neuen Finanzausgleichs ver- stärkt, weil kleinere Gemeinden die Kos- ten ihrer Kleinheit nun grundsätzlich selber tragen müssten, stellt die Zürcher Kantonsverwaltung in einem Bericht fest. Der Handlungsspielraum, insbe- sondere der kleineren Gemeinden, habe sich deshalb generell verkleinert. «Auch die verstärkte Zusammenarbeit zwi- schen den Gemeinden kann dieser Ent- wicklung nur beschränkt entgegenwir- ken, da die Vorteile der Kostenersparnis durch die Nachteile der Überstrukturie- rung der Aufgabenerfüllung oftmals kompensiert werden.» Umso mehr verblüfft ein weiterer Be- fund aus dem Zwingli-Kanton: Die Steuerkraft von armen Gemeinden ist seit dem Jahr 2000 prozentual stärker gewachsen als jene der reichen Gemein- den. Langfristig betrachtet sind die Steu- erfüsse der Zürcher Kommunen seit 2000 gesunken. Erst in jüngster Zeit sei wieder ein leichter Anstieg der Gemein- desteuerfüsse zu beobachten. Fazit: Auch wenn es durchaus mehrere Lichtblicke gibt, hat der Leidensdruck bei den Gemeinden aktuell weiter zugenom- men. Braucht es also dringlich eine neue Aufgabenteilung zwischen Gemeinden, Kantonen und Bund, um hier Abhilfe zu schaffen? Für Alexander Haus von der Uni Lausanne sind noch keine roten Li- nien überschritten: «Die uns vorliegen- den Daten zu den Problembereichen in den Gemeinden weisen bisher nicht da- rauf hin, dass schweizweit ein dringen- der Handlungsbedarf angezeigt ist.» Auch Zürcher Gemeinden stossen an Grenzen

Fredy Gilgen

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SCHWEIZER GEMEINDE 5 l 2019

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