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vorher so noch nicht gab. Wir sind Pio- niere, und das ist ein Privileg.» Das sagt auch Rocco Selladurai, der direkt betrof- fen ist: «Natürlich macht mich die neue Lösung stolz. Schliesslich haben wir et- was in Angriff genommen, was andere Verwaltungen noch nicht geschafft ha- ben.» Kunden texten lieber Die Einsatzmöglichkeiten desVideochats stehen erst ganz am Anfang. «Diese müssen sich in den Köpfen der Berater, aber auch der Kunden erst entwickeln», sagt Kallen. Seit Kurzem bietet Winter- thur ein Dienstleistungszentrum für Grundstückgewinnsteuern an. Das heisst, sie bieten zürcherischen Gemein- den an, ihre Grundsteuerfälle zu erledi- gen. «So wäre es vielleicht eines Tages möglich, dass Bewohner einer entlege- nen Gemeinde uns per Videochat kon- taktieren, statt nach Winterthur zu rei- sen», so Kallen. Auffallend ist, dass derTextchat viel häu- figer genutzt wird als der Videokanal, und zwar imVerhältnis 85 zu 15 Prozent. Die eher zurückhaltende Kultur der Schweizer könnte eine Erklärung dafür sein, meint Kallen. Für die Berater ist das Texten zeitaufwendiger als der Video- chat. Gründe, wieso dieser Kanal ver- mehrt genutzt wird, könnten sein: Nicht jeder hat eineWebcam, oder diese funk- tioniert nicht einwandfrei, andere möch- ten sich nicht zeigen, oder man ist unter- wegs und möchte die Anfrage stellen, ohne dass jeder das mitbekommt. «Per Textchat können Steuerpflichtige bei- spielsweise auch im Zug ihre Steueran-

Rahmen von Smart City als Innovations- projekt eingereicht und den Zuschlag bekommen. «Wir sammeln nun Erfah- rungen mit diesem neuen Kanal, die wir dann mit der ganzen Verwaltung teilen können», erklärt Matthias Kallen. Wenn Bürger heute einen persönlichen Kontakt mit der Gemeinde wünschen, müssen sie je nachdem einen halbenTag freinehmen. Das ist dank demVideochat in Zukunft nicht mehr unbedingt nötig. «Es gibt sogar schon Firmen, die Räume extra fürVideogespräche anbieten», sagt Matthias Kallen. «Wir wollen herausfin- den, welches Potenzial das neue Me- dium für Verwaltungen hat.» Die Technik war schnell aufgebaut und funktionierte sofort problemlos: «Eine grosse Aufgabe war es, die Mitarbeiter für die Arbeit am Onlineschalter zu mo- tivieren. Die Idee stiess nicht überall auf fruchtbaren Boden», so Kallen. Fragen und Ängste tauchten bei den Mitarbei- tern auf: «Muss ich mich vor der Kamera präsentieren?Wenn ich einen unbelieb- ten Steuerentscheid treffenmuss, spricht mich die Person dann vielleicht in der Migros an? Kann ich meine tägliche Ar- beit trotzdem noch erledigen?Wird mein Bild dann im Internet auftauchen?» Mat- thias Kallen hat sich mit den grössten Skeptikern hingesetzt und alle Bedenken ernst genommen. Am Ende, nach vielen Diskussionen, gab es dann doch genü- gend Freiwillige für das Projekt.Was war ausschlaggebend? «Ich habe ihnen er- klärt, dass wir etwas tun dürfen, was es Ängste und Unsicherheiten bei den Mitarbeitern diskutiert

Steuerberater Rocco Selladurai ist es ge- wohnt, bei der Arbeit sein Gesicht zu zeigen. Bild: zvg.

liegen anonym erledigen und das ohne Zeitverzögerung», erklärt Rocco Sella- durai. Und: «Wir hatten bisher nieman- den, der über den Kanal Unfug getrieben hat.» Dankbare Kunden Wen spricht das neue Angebot an? Viel- beschäftigte, die nicht persönlich vorbei- kommen können, Steuerpflichtige, die sofort eineAntwort auf ihre Fragen brau- chen, aber nicht telefonieren können, Menschen, die imAusland leben und für die telefonieren schwierig und teuer ist, oder Personen, die sich in einer lauten Umgebung befinden. Noch ist der Kanal zu wenig bekannt: «Es bringt nichts, wenn wir etwas anbieten, was niemand nutzt. Es ist schliesslich ein Dienst an der Bevölkerung», so Rocco Selladurai. Über den Onlinekanal kommen aktuell eine gute Handvoll Anfragen täglich, aus al- len Steuerbereichen, ähnlich wie per Telefon. «Doch es ist anders als am Schalter: Zum Beispiel fallen beimText- chat die nonverbalen Signale weg.» Die Pilotphase Onlineschalter läuft noch bis Ende Mai 2019. Danach entscheidet die StadtWinterthur, ob sie weiter einen Text- und Videochat anbietet.

Tanja Kammermann, Corporate Journa- list Platforms & Productions, Swisscom

Swisscom ist Partnerin des SGV am Sommer- seminar in Bellinzona und leitet einen Work- shop zumThema Smart City.

Matthias Kallen, Prozess- und Projektleiter im Steueramt Winterthur, ist überzeugt vom neuen Kanal und treibt das Projekt voran. Bild: zvg.

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SCHWEIZER GEMEINDE 5 l 2019

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