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FUNDAMENT

D ie kleine Schar der Jün- ger war nach der brutalen Ermordung ihres Meisters immer noch verängstigt, aber ver- sammelte sich weiterhin hinter ver- schlossenen Türen, um ihres Herrn zu gedenken. Am jüdischen Pfingst- fest (Pentecoste) aber kommt der Heilige Geist Gottes über sie: Sie treten nach draußen und sprechen freimütig zu den Menschen, die aus „aller Herren Länder“ als Pilgertou- risten nach Jerusalem gekommen waren, von ihrer Erfahrung mit Je- sus. Das Pfingstwunder besteht nicht darin, dass die Jünger, die aus dem provinziellen Norden Israels, Galiläa, stammen, plötzlich alle gän- gigen Sprachen beherrschen, son- dern dass sie sich trotz aller sprach- lichen und kulturellen Unterschiede den unterschiedlichsten Menschen verständlich machen können. Das Pfingstereignis ist der schar- fe Kontrast zu einer anderen bib- lischen Erzählung, dem Turmbau zu Babel in der Hebräischen Bibel (Gen 11,1-9). Die Menschen wol- len aus Angst, sich über die Erde zu zerstreuen, einen Turm bauen als Symbol ihrer Einheit: „Ein Volk, ein Reich, ein (Götter-) Turm, eine Sprache“. Doch Gott zerstreut ihre Pläne, indem er die Vielzahl der Sprachen entstehen lässt, die Menschen sich nicht mehr ver- ständigen können und sie sich eben doch über die Erde verteilen.

Pfarrer Dr. Reiner Nieswandt leitet seit 2019 die Katholische Krankenhausseelsorge in Wup- pertal. Er hat unter anderem ge- schrieben: „Reißt diesen Tempel nieder – Anstöße für eine andere Kirche“ (2019) und „Befreit. Gott – von der Enge in die Weite“.

Es bleibt für uns Menschen eine stetige Versuchung, zu meinen, Einigkeit und Effizienz sei durch zentralisierte und streng geglie- derte Hierarchien, sprachliche und kulturelle Vereinheitlichung und Uniformität herzustellen. Natürlich braucht es in unseren Einrichtun- gen eine gemeinsame Sprache, um sich verständlich mitteilen zu können. Entscheidend aber ist der gute Geist der ‚Herzenssprache‘ in der gemeinsamen Arbeit, der uns

– auf dem reichen Hintergrund einer Vielzahl unterschiedlicher Muttersprachen und Dialekte, kul- tureller und persönlicher Identitä- ten und religiöser Bekenntnisse bei unseren Mitarbeitenden wie den von uns zu betreuenden Men- schen – so miteinander verbindet, dass wir mit unseren Einrichtun- gen in unsere Städte ausstrahlen und Außenstehende erkennen: Bei uns ist „der Mensch in guten Händen“. (R.N.)

Foto: Malte Reiter

CellitinnenForum 02 | 2022

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