GOLF TIME 3/2022

STORY | GOLF & BEHINDERUNG

„Gott sei Dank hatte ich meine Frau und sie hat alles getan. Ich war etwa sechs, sieben Monate im Krankenhaus und dann in Reha. Sie hat alles organisiert. Sie ist jeden zweiten Tag 100 Kilometer zum Rehabilitationszent rum gefahren. Das war eine große Sache, die sie da für mich getan hat.“ Christian fügt hinzu: „Ich habe nach vor ne geschaut und gesagt: O.K., was kann ich tun? Welche Möglichkeiten habe ich, mein Leben zu Hause aufzubauen. Was kann ich vom Rollstuhl aus tun, um weiterzukom men? Da ich zwei Kinder habe, konnte ich nicht einfach sagen, das war’s – und an Selbstmord denken oder so. Das war nie eine Option für mich. Ich musste weitermachen. Ich war 34 und das ist zu jung zum Sterben.“ SCHRITT FÜR SCHRITT In den nächsten Jahren gab es Schritt für Schritt enorme Verbesserungen. Christi an kann sich an den Stolz erinnern, den er empfand – und der sich in den Gesichtern seiner Kinder widerspiegelte – als er seinen manuellen Rollstuhl zum ersten Mal allein bewegen konnte. Einer seiner Arme war zerschmettert und musste mit Knochen aus seinem Brustkorb rekonstruiert werden. Es dauerte seine Zeit, bis er lernte, seinen Arm wieder zu benutzen und die nötige Kraft zu finden. Man sagt, wenn das Leben einen in den Roll stuhl zwingt, kann es gut und gerne zwei Jahre dauern, bis man sich an die Verände rung gewöhnt hat. Nach sechs, sieben Mona ten übernahm Christian aber schon wieder die Leitung seines Unternehmens. „Im ersten Jahr ist man wie ein großes Baby. Man kann nichts machen, und es ist ein großer Schritt, vom Chef eines Unter nehmens zum Rollstuhlfahrer zu werden. Im Supermarkt musst du eine alte Dame fra gen, ob sie dir eine Flasche Milch aus dem obersten Regal reichen kann.“ Christian erinnert sich, dass man ihm sag te, er solle das Golfen vergessen. „Du kannst mit deiner Frau schwimmen gehen oder was auch immer, aber Golf, das ist unmöglich. Aber dann sah ich diesen Stehrollstuhl. Es ist ein normaler Rollstuhl, und ich sehe vor meinem geistigen Auge, dass man damit aufstehen und spielen kann. Also kaufte ich einen alten elektrischen Rollstuhl und nahm den Stehrollstuhl. Ich habe beides zusam mengebaut, um zu sehen, wie es funktionie ren könnte. Aber es funktionierte zunächst nicht so gut, die Idee jedoch, den elektri schen Rollstuhl mit dem Aufstehgerät zu kombinieren, war geboren.“ Christian begann, die ersten Entwürfe aus Holz zu fertigen. „Ich arbeite mit Holz, das DIE GEBURTSSTUNDE DES „PARAGOLFERS“

Christian Nachtwey auf der Runde: „Man findet Freunde fürs Leben ...“

war schon immer meine Leidenschaft. Dann ging ich zu einem Metallschweißer und fragte: ‚Kannst du das für mich aus Metall machen?’ Am Anfang wollte ich ihn nur für mich bauen, um ihn auf dem Golfplatz zu benutzen. Aber dann habe ich gesehen, dass es für andere auch funktionieren könnte.“ Er schaffte es, sein Unternehmen noch fünf Jahre lang weiterzuführen, entschied sich aber dann, es zu verkaufen. Glücklicher weise an zwei seiner vertrauten Mitarbeiter, die die anderen Angestellten übernahmen und so die Arbeitsplätze sicherten.

„ ICH HABE BIS HEUTE NIE JEMANDEN AUF DEM GOLFPLATZ GETROFFEN, DER GESAGT HAT, ER WOLLE KEINE ROLLSTUHL FAHRER. VOR ALLEM NICHT IN MEINEM GOLFCLUB, NIEMALS. ABER AUCH AUF ALLEN ANDEREN GOLFPLÄTZEN DER WELT“

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