GOLF TIME 2/2024

TRAINING

AUSNAHMESCHWUNG Den meisten wird Joaquin Niemann wegen seiner Erfolge bekannt sein, eher weniger wegen seines Golfschwungs. Dabei ist die ser von seinem Bewegungsablauf her als eher „eigen“ zu beschreiben. Er erfordert eine enorme Athletik und vor allem Flexibi lität, ist im Grunde aber gar nicht so außer gewöhnlich, wie es vielleicht zunächst den Anschein haben mag. Ähnlich dynamische Schwünge sieht man beispielsweise auch bei Spielern wie Dustin Johnson oder Viktor Hovland. Die se richten sich im Abschwung nur etwas früher wieder auf und erscheinen deshalb nicht ganz so unorthodox wie Niemann, wenn man einmal seine Oberkörpernei gung im Treffmoment betrachtet. Allem voran steht im Golfschwung ge wöhnlich die Handlungstheorie. Sozusagen das grundlegende Verständnis davon, auf welche Weise das Aufgabenziel am besten erreicht werden kann. Beim Golf lautet die ses Ziel unter anderem: „Den Ball mit dem Schläger möglichst schnell und gleichzeitig mit gerader Schlagfläche zu treffen.“ Sein Schwungkonzept gleicht – einfach ausgedrückt – dem eines Baseballspie lers, der den Schläger um den Körper „herumschleudert“. Der Rückschwung ist bei Baseballspielern meist sehr steil, um dem Schläger durch das extreme Abfla chen im Abschwung eine größere Dynamik zu verleihen. Diese sorgt letztlich für eine deutliche Steigerung der Schlägerkopf Geschwindigkeit im Treffmoment. So auch bei Niemann. Der Schlägerkopf hängt durch dieses „Schleudern“ weit hinterher, was wiederum einen sehr späten Release zur Folge hat. Um die Schlagfläche gerade an den Ball zu bringen, bedarf es also eines passenden Griffs. In Niemanns Fall ist er besonders stark ausgeprägt. Einen gravierenden Unterschied zwi schen Baseball und Golf gibt es aber: Der Ball liegt beim Golf auf dem Boden, wes halb Joaquin sich stärker nach vorne und auch seitlich beugen bzw. neigen muss. Da er wenig vertikale Bodenreaktionskräfte nutzt, dabei aber umso mehr an Drehmo ment in der Rotation, kommt es bei ihm in der Folge zu einem sehr späten Aufrichten und schließlich auch zu seinem speziellen „Look“. GT WIE SIEHT DIESE UMSETZUNG BEI JOAQUIN NIEMANN AUS?

Joaquin Niemann verkörpert die jun ge Generation von talentierten Nachwuchs-Profis wie kaum ein anderer. Trotz seines jungen Alters von 25 Jahren ist der Chilene nicht nur mehrfacher Sieger auf der PGA und LIV Golf Tour, er hat dabei auch noch ein unglaublich gelassenes und reifes Auftreten. Die einstige Nr. 1 der Amateur-Weltrang liste wechselte 2023 auf die saudi-arabi sche Tour und bekam dort aufgrund seiner Erfolge sofort das Kapitänsamt für das neue Team Torque GC übergeben.

Neben seiner Persönlichkeit hat er zudem einen exzentrischen, aber dennoch äußerst effektiven Golfschwung, der in einigen Aspekten etwas vom Üblichen abweicht. Arnold Palmer sagte schließlich einst schon: „Swing your swing“. Letztlich erhielt Niemann in Folge seiner herausragenden Leistungen der vergan genen Monate eine Sondereinladung zum diesjährigen Masters in Augusta, Georgia. Man darf also gespannt sein, ob die Leis tungskurve des Südamerikaners weiter so steil nach oben zeigen wird.

SCHWUNGSTUDIE MAXIMALE ATHLETIK

Der Schwung des Chilenen und Kapitäns des Torque GC auf der LIV Golf Tour, Joaquin Niemann, mit dem Driver. Analy siert von Sascha Antic, Fully Qualified PGA Professional und GOLF-TIME-Redakteur.

Beim Takeaway befindet sich der Schläger kopf noch außerhalb der Hände und bereitet so den steileren Rückschwung, ähnlich dem eines Baseballspielers, vor.

In der 9-Uhr-Position sieht man deutlich die Relation zwischen linker Hand und Schlagfläche, die ihm ermöglicht, die Schlagfläche gerade an den Ball zu bringen.

Niemann steht im Setup schon etwas vorgebeugter als die meisten Spieler. Aus dieser Perspektive lässt sich der starke Griff mit der linken Hand erst einmal nur erahnen. Die rechte Hand greift den Schläger jedoch neutral.

Sehr gut lassen sich nun der abgeflachte Schläger und die starken Körperwin kel erkennen. Der durch die enorme Rotation entstan dene „Lag“ stellt ein riesiges Speed Potenzial dar.

Am Ende des Rück schwungs sieht Nie manns Schwung sehr „neutral“ aus, jedoch sieht man hier leider nicht, dass der Schläger bereits die Dynamik ändert und damit beginnt, abzuflachen.

Das lange Halten seiner extremen Neigung bis spät in den Abschwung ist die Quelle seiner Power: das Erzeugen von maximalem Drehmo ment. Der Schläger befindet sich hier fast im rechten Winkel zu seinem Oberkörper.

Erst kurz vor dem Treffmoment lässt er den Schläger frei (release) und entlädt somit die ganze Energie auf den Ball. Als Beiprodukt bleibt der rechte Arm so stark gebeugt wie bei kaum einem anderen Spieler.

Die extremen Scherkräfte, die in gegensätz liche Richtungen auf die Füße wirken, haben die linke Hüfte aus dem Weg gebracht, zwingen Joaquin dabei aber noch tiefer in die seitliche Oberkörperneigung.

Letztlich steht er, wenn auch durch die aggressive Rotation etwas „überdreht“, sehr stabil im Finish. Athletik pur!

Diese Position im späten Durch schwung ist quasi Niemanns Visiten karte und lässt sich auch bei regulärer Geschwindigkeit deutlich mit blo ßem Auge sehen.

SASCHA ANTIC Jhg. `83, Fully Qualified Professional der PGA of Germany, Equipment Experte und GOLF-TIME-Redakteur

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