7/8 2015

ORGANISATION

Bürgermeister in Baden-Württemberg perfekt. Über 80 Prozent der Bürgermeis- ter waren bei ihrer Wahl nicht Einwoh- ner der Gemeinde, in der sie gewählt wurden, also aus Sicht der Wähler die besten Kandidaten. Besonders interes- sant ist, wie sich viele Bürgermeister für dieWahl rüsten: Sie lernen den Beruf. Sie besuchen eine Bürgermeisterschule.Wer den Job beherrscht, hat bessere Wahl- chancen. Deshalb bieten die Fachhoch- schulen Bürgermeister-Lehrgänge an. Das ist wahre Professionalisierung. Nicht unbedingt Berufspolitiker, aber Profis. Unser Milizsystem wird wegen der Bürgernähe immer als vorbildlich gerühmt, Avenir Suisse schlägt vor, eine Art Bürgerdienst einzuführen. Professionalismus und Bürgernähe sind keineWidersprüche, ganz im Gegenteil. Die bürgernächsten Politiker in Ba- den-Württemberg und auch in St. Gallen sind doch genau die Bürgermeister oder

sind. Und vergessen Sie den Bürger- dienst. Avenir Suisse macht viele tolle Vorschläge. Ihr Bürgerdienst aber ist ein völliger Flop. Zwangsdienste für Bürger sind eine Katastrophe sowohl hinsicht- lich Effizienz wie auch hinsichtlich Ge- rechtigkeit. Der einzige sinnvolle Zwang ist die Steuerpflicht. Mit den so aufge- brachten Mitteln soll man den Staat und die Leistungen vonAmtsinhabern finan- zieren. Politiker müssen für ihre Leistun- gen angemessen entschädigt werden. Wenn die Jobs ansonsten genügend attraktiv sind, kann der finanzielle Lohn tief sein, wenn nicht, muss er hoch sein. Was müsste passieren, damit die Stellen einfacher besetzt werden können? Der Markt ist komplett ausgetrocknet. Die Marktöffnung und eine anständige Bezahlung würden das Problem lösen. Zudem könnte vorgesehen werden, dass wenigstens bei kleineren Teilzeitämtern

Verwaltungsangestellte, weil die Abschlüsse nicht anerkannt sind. Was ist zu tun? Entweder sollten die Abschlüsse gegen- seitig anerkannt werden, oder die Kan- tone sollten klar definieren müssen, was sie für zusätzliche Qualifikationen ver- langen, und diese Qualifikationen soll- ten berufsbegleitend erworben werden können. Dann würden schnell Passepar- tout-Ausbildungen sowie gezielt ergän- zende Module angeboten. Sie postulieren, dass vernünftige, gute Entscheide von der Politik nur dort ge- troffen werden, wo die Gruppe der Nutzniesser möglichst gut der Gruppe der Bezahler und der Gruppe der Ent- scheidungsträger entspricht. Die Leute werden aber immer mobiler, sie arbei- ten im Kanton X und wohnen im Kan- tonY. Wie bringen Sie das unter einen Hut? Ich bin dafür, dass sowohl die Steuern wie auch die Mitbestimmungsrechte der Pendler zerlegt werden. Ein Pendler soll am Arbeits- und am Wohnort Steuern zahlen, im einfachsten Fall halbe-halbe, mit den jeweiligen Steuersätzen. Aber er soll auch an beiden Orten je eine halbe Stimme haben oder wählen können, wo er seine politischen Rechte ausüben will. Themawechsel. An der Delegiertenver- sammlung der Comunitas haben Sie über die Reform der Altersvorsorge ge- sprochen. Der demografischeWandel ist eine gewaltige Herausforderung. Der demografischeWandel ist kein Pro- blem, sondern unser Glück. Wir werden ja nicht älter, weil wir kränker werden, sondern weil wir gesünder werden. Durch die Alterung nimmt die potenzwi- ell produktive relativ zur «unprodukti- ven» Lebenszeit zu. Wir müssen die Früchte der Alterung nur ernten – mit einer klugen und flexiblen Erhöhung des Rentenalters. Interview: czd

Stadtammänner, die bisher einzigen, die «herumziehen». Bürgernähe hat nur wenig da- mit zu tun, dass jemand aus dem Ort kommt, in dem er politisiert.Vielmehr hat es mit guten Anreizen und Selektion zu tun. Wenn der Markt auch für Auswärtige geöffnet wird,

auch die Wohnsitzpflicht bei Amtsausübung aufgehoben wird. Dann können Personen Ämter in mehreren Gemein- den übernehmen. Das würde ihnen erlauben, sich auf die Jobs zu konzentrieren und das nötige Know-how zu erwer- ben. Zudem macht die Markt-

«In der Politik sind die Wege nach oben oft versperrt.»

werden die Auswahl an fähigen Politi- kern sowie ihre Anreize, bürgernah zu politisieren, grösser. Die Reputation, be- sonders bürgernah zu sein und auch Reformen gegen die eingemachten Inte- ressen der Verwaltung und gut organi- sierter Interessengruppen durchzuset- zen, verbessert ihre Wahlchancen an anderen, noch attraktiveren Orten. Zu- dem: Der wahre Hort der Miliz sind doch die volksgewählten Rechnungs- oder Geschäftsprüfungskommissionen. Ich würde den wandernden professionellen Politikern starke RPK gegenüberstellen, die mit wirklichen Milizpolitikern besetzt

öffnung den Einstieg in die Politik viel attraktiver. Trotz Personalmangel sind ja heute dieWege nach oben aus verschie- denen Gründen oft versperrt. Auch dieses Risikomacht Politik für Junge unattraktiv. Dank Marktöffnung kann man dort aktiv werden, wo es gerade Politiker braucht. Das macht Politik zu einemWeg der Chan- cen statt derWiderstände. Wer sich für eine Laufbahn in der öffentlichenVerwaltung einer Gemeinde entscheidet, legt sich auf eine Region fest. Es gibt keine berufliche Mobilität für

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SCHWEIZER GEMEINDE 7/8 l 2015

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