Cellitinnen 1_2020
Medizin | Betreuung
prophylaxe (vgl. Infokasten) ist ein solches Vorgehen Gold wert: „Wir machen häufig die Beobachtung, dass gerade bei alten Patienten eine beginnende Demenz durch einen Krankenhausaufenthalt und besonders durch eine Vollnarkose massiv beeinflusst wird“, weiß Lutz. Auch die Gefahr eines Delirs – einer akuten Veränderung in Verhalten, Bewusstsein und Aufmerksamkeit nach einer Narkose, die mit We- sens- und Verhaltensänderungen einhergeht – könne so deutlich vermindert werden, erläutert der Mediziner. Doch wie kann eine solche Ope- ration ohne künstliche Beatmung überhaupt gelingen? Unter nor- malen Bedingungen wird dem Pa- tienten für eine solche Operation ein spezieller Beatmungsschlauch eingeführt – ein Teil in den rechten, einer in den linken Lungenflügel. Beckers erläutert: „Der gesunde Flügel wird normal beatmet, wäh- rend man die andere Lungenseite künstlich zusammenfallen lässt, um Platz für die notwendigen Opera- tionsschritte zu haben. Erst nach Abschluss des Eingriffes wird auch diese Seite dann wieder normal be- atmet und ‚aufgerichtet‘.“ Während eines Eingriffs ohne Vollnarkose (NI-VATS-Eingriffe) atmet der Pa- tient normal weiter. Er befindet sich in einem tiefen, durch Medikamente herbeigeführten Schlaf, bei dem das Schmerzempfinden komplett ausgeschaltet ist. Der operative Zugangsweg wird zusätzlich lo- kal betäubt. Der Lungenflügel, an dem operiert werden muss, fällt Eingriff ohne Vollnarkose
nach Öffnung des Rippenfells zu- sammen, so dass ein ausreichend großer Raum für den Eingriff ent- steht. Der andere Lungenflügel reicht für die Spontanatmung wäh- rend der OP aus. Die Operation kann nun genau so stattfinden wie sonst auch. „Selbstverständlich gibt es ausschließende Faktoren“, berichtet Lutz. Eine starke Über- gewichtigkeit und spezielle Atem- störungen sowie besonders große und komplizierte Eingriffe sprechen gegen das schonende Verfahren. Es bedarf einer genauen Risiko-Ab- wägung durch die Ärzte und weit- reichender Erfahrung – sowohl bei den Anästhesisten als auch bei den Thoraxchirurgen. „Alles in al- Delir – wenn der Verstand schwindet Unter Delir (oder Delirium) versteht man eine akute Veränderung in Verhalten, Bewusstsein und Auf- merksamkeit des Patienten. Der wichtigste Indikator sind plötzlich auftretende Wesens- und Verhal- tensänderungen: Angehörige ha- ben das Gefühl „Dies ist nicht der Mensch, den ich kenne!“ Patienten ab 65 Jahre sind beson- ders häufig betroffen, wobei das Risiko mit steigendemAlter und der Schwere von Begleiterkrankungen zunimmt. Es gibt eine Vielzahl an Risikofaktoren, die ein Delir wahr- scheinlicher machen: zum Beispiel Demenz oder Depression, Immo- bilität, Hör- oder Sehschwäche, Mangelernährung, Flüssigkeits- mangel, Angst und Stress.
lem bedeutet ein solcher Eingriff natürlich mehr Aufwand als einer mit künstlicher Beatmung“, weiß Beckers. „Aber die Ergebnisse im Hinblick auf die Erholung des Patienten und die Auswirkungen bei Demenz und Delir sprechen für dieses Verfahren, wenn alle begren- zenden Faktoren berücksichtigt werden. Die Patienten sind bei und nach der Operation weitestgehend beschwerdefrei.“ Das St. Vinzenz-Hospital hat im ersten Jahr mit diesem Verfahren über 60 Patienten erfolgreich be- handeln können. Die Daten dieser Erfahrung werden wissenschaftlich aufgearbeitet. halb ist es nicht immer einfach zu erkennen. Sie treten in der Re- gel plötzlich, innerhalb weniger Stunden oder Tage auf. Hierzu zählen: Probleme bei der Orien- tierung; Schwierigkeiten zu be- greifen, was um den Patienten herum passiert; Desorientierung über zeitliche Zusammenhänge und Tagesabläufe; Nicht-Erken- nen von bekannten Personen, zu- sammenhanglose Sprache (Fan- tasieren), Rückzug, Aggression, Halluzinationen. In unseren Krankenhäusern arbei- ten auf Demenz und Delir speziali- sierte Ärzte und Pflegekräfte. Bitte sprechen Sie diese an, wenn Sie bei einem Krankenhausaufent- halt eines Angehörigen (beson- ders nach einer Operation unter Vollnarkose) Fragen zum Thema haben.
Die Symptome eines Delirs kön- nen unterschiedlich sein – des-
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