11_2016

POLITIK

Strahlende Zukunft? Gemeinden wie Döttingen und Leibstadt werden in der Abstimmungsgrafik tiefrot aufleuchten, wenn am 27. November die Zukunft der Atomenergie an der Urne besiegelt wird. Hier, im «Zurzibiet», wo das Herz der Schweizer Kernkraft schlägt, erwartet man die Entscheidung mit einer Mischung aus Gelassenheit und Unverständnis. Ein Lagebericht.

sich auf das Stimmvolk, das wohlüber- legt und massvoll entscheiden werde, nicht nur wirtschaftlich gesehen. Damit meint er den Vorteil der Bandenergie, die konstant fliesst, während Wind- und Sonnenenergie stete Ausschläge nach oben und unten zeichnet. Ein Viertel der Steuereinnahmen Wer verstehen will, was dieser unver- blümten Fürsprache zugrunde liegt, könnte einen Blick in die Leibstädter Ge- meindefinanzen werfen. Sie belegen, dass das KKL rund einen Viertel der Steuereinnahmen beisteuert, indirekt kommt ein namhafter Betrag dazu. Blickt man 10, 15 Jahre zurück, war es fast das Doppelte. Leibstadt zählt vor allem we- gen des KKL, in dem rund 500 Personen beschäftigt sind, 1000 Arbeitsplätze, und das bei 1300 Einwohnern. Arbeitsplätze, auf die man angewiesen sei, sagt Erne. Das Dorf, das die Stadt im Namen trägt, war ein Bauerndorf, klein, arm und un- bedeutend. Nur dank des KKL, das 1984 ans Netz ging, konnte es Mittel in Ge- bäude und Infrastruktur pumpen, die nicht vorhanden gewesen wären, und sich zu einer weitgehend begüterten Gemeinde entwickeln – frei von Schlag- löchern und maroden Wasserrohren. «Pro Leibstadt» für Kultur und mehr Noch bevor das Kraftwerk die erste Ki- lowattstunde Strom produzierte, wurde die Stiftung «Pro Leibstadt» gegründet. Das KKL äufnet sie jährlich mit gewinn- unabhängigen Beiträgen. Daraus wer- den die hiesigen Alterswohnungen be- trieben, Stipendien erteilt, Kulturelles gefördert, Gemeinnütziges ermöglicht. Auch die Nachbargemeinden erhalten vom KKL jährliche Zuwendungen, Be- träge, auf die man nur ungern verzichten würde. Trotzdem verwehrt sich Hanspe- ter Erne dem Etikett, ein wohlhabendes Pflaster zu präsidieren: «Das KKL hat massgeblich zum Wohlstand unserer Gemeinde beigetragen, und die Kern- kraft ist der Treiber in unserer Region. Aber reich? Das sind wir nicht. Dafür si- cher; absolut sicher.»

Wer in der Gemeindeverwaltung von Leibstadt die Blase entleert, blickt, vor- bei an Kirchturm und ziegelbedachten Altstadthäusern, auf 144 Meter Beton. Das Dachfenster der Toilette gibt den Blick frei auf den Kühlturm des Kern- kraftwerks Leibstadt, kurz KKL, ein be- waffneter Sicherheitsmann patrouilliert im Grün, das sich um den Meiler er- streckt. Und erkannte man von hier den Rhein, sähe man auch die Nebelschwa- den, die über ihm hängen. Das KKL ist der Grund, wieso man Leibstadt ausser- halb des Zurzibiets überhaupt kennt. Leibstadt, das weiss auch der Gemein- deammann, ist gleich Kernkraftwerk. «Und das ist gut so.» Hanspeter Erne, 48, und ebendieser Gemeindeammann, ein zugänglicher Typ mit einem breiten La- chen, ist erst seit diesem Sommer im Amt. Heute sei ein schlechter Tag, sagt er – trotz sonnigen Spätherbstwetters. Denn aus dem Kühlturm, dem gewöhn- lich pro Sekunde 720 Kilo Wasserdampf entsteigen, ragt heute keine Säule in den Himmel. Die Turbinen stehen still und mit ihnen 17 Prozent der Schweizer Stromproduktion. Die Jahreshauptrevi- sion, die im August angegangen wurde, dauert anstatt der veranschlagten vier Wochen voraussichtlich bis im Februar; bei acht Brennelementen waren Verfär- bungen entdeckt worden, eine Gefähr- dung – für Mensch und Umwelt – hat gemäss Kraftwerkbetreiberin Axpo nicht bestanden. «Panik wäre sinnlos» Wenn es umdas KKL geht, ist Hanspeter Ernes Position eindeutig: «Kernkraft jawohl!» Das war schon so, lange bevor ihn die Gemeindebelange von Amtes wegen betrafen. Und verstärkt sich hinsichtlich der Abstimmung zur Atom- ausstiegsinitiative, über die die Schweiz am 27. November an der Urne befindet. Sollte die Initiative eine Mehrheit finden, müsste das KKL 2029 per Verfassung vom Netz. Das wären: 13 Jahre Vor- bereitung. Und 13 Jahre, nicht in Panik zu verfallen. «Darum lässt mich die Ab- stimmung zwar nicht kalt, aber Panik wäre verfehlt und sinnlos.» Er verlasse

«Leibstadt ist nicht Fukushima. Da kannWasser kom

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SCHWEIZER GEMEINDE 11 l 2016

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