Cellitinnen 4_2017_letzte_Fassung

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Das ‚Ich‘ nicht vernachlässigen

Als die Kinder dann die Schule be- suchten, richtete Luzia Beckmann sich das Leben so ein, dass es auch ihren Bedürfnissen entsprach: Sie machte den Führerschein und teilte sich das Auto mit ihrem Mann, der als Oberbaurat in Bonn arbeitete. Den Traum zu studieren, musste die junge Mutter mit vier Kindern endgültig begraben, aber sie be- suchte begeistert Englisch-Kon- versationskurse, engagierte sich in den Schulen der Kinder und gab Nachhilfe. Später vertrat sie selbstbewusst und vehement im Vorstand des Katholischen Deut- schen Frauenbundes in Bonn und im Ausschuss des Diözesanrates ‚Frauen in der Kirche‘ ihre Meinung, sie saß als einzige Frau für die CDU in Ausschüssen des Niederkasseler Stadtrats und scheute sich auch dort nicht, den männlichen Kol- legen die Stirn zu bieten. Als die Kinder flügge waren, berief man sie als ‚ehrenamtliche Richterin‘ ans Verwaltungsgericht Köln. Dort lernte Luzia Beckmann schon vor den aktuellen Flüchtlingswellen viel über Asylrecht, nebenbei auch über Grundstücksrecht und Straßenbau. Sie stritt und streitet bis heute über Ost-, West- und Europapolitik, Gleichberechtigung, Kirche und alles, was die Gesellschaft bewegt, sie liebte und liebt bis heute Lite- ratur, besucht Literaturkurse, Kon- zerte und Museen. Je mehr Freiheit ihr die Kinder ließen, umso mehr widmete sie sich ihren Interessen, wobei die Familie nie zu kurz kam. Zu Hause ging es manchmal zu

Ehepaar Beckmann im Kreise der Kinder und Enkel

wie im Taubenschlag: Da waren die Kinder, die Freunde der Kinder, Austauschschüler und gestrande- te junge Menschen, die auf ihrem Europatrip bei Beckmanns vorüber- gehend Quartier bezogen. Ihre Überzeugungen gab Luzia Beckmann an die Kinder weiter: Die Leidenschaft für Literatur und Bildung, die Überzeugungen und Werte der katholischen Kirche und Weltoffenheit. „Jetzt ist Erntedank“, meint sie und blättert im Fotoalbum. Die Kinder sind der Kirche treu ge- blieben und halten zusammen, haben den Mut, ihre Zukunft zu gestalten, begegnen der Welt mit Liebe, Respekt und im Vertrauen auf Gott. Zu ihren Enkeln, mittler- weile sind es zehn, hat die Seniorin einen guten Kontakt, lernt deren Freunde und Freundinnen kennen und liest mit großem Interesse ihre Bachelorarbeiten.

Im Sevicewohnen

Seit mehr als einemJahr wohnt Luzia Beckmann schon imServicewohnen für Senioren St. Ursula in Bornheim- Hersel. Ihr Mann ist 2009 gestorben. „Ich kann nur jedem raten, so lange man noch fit ist, in ein Betreutes Wohnen zu ziehen, damit man die Annehmlichkeiten noch genießen kann“, rät die rüstige Seniorin. „Ich muss aber auch gestehen, dass mir der Abschied von meinen vielen Büchern schon weh tat“, ergänzt sie. Sie macht das Beste daraus, unternimmt Exkursionen mit dem ‚Bonner Heimat- und Geschichts- verein‘ und ist begeisterte Teilneh- merin der monatlich stattfindenden Angebote des Kulturprogramms. „Wenn man aufhört, neugierig zu sein, wird man alt“, meint sie und freut sich auf die kommenden Ur- laubstage mit der Familie.

CellitinnenForum 4/2017 35

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