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Netztechnik und -prozesse

Netztechnik und -prozesse

50,2 Magazin | 08.2022

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Neue Netzarchitektur Könnte ein auf Gleichstromtechnologie basierendes Stromnetz stabiler und effizienter funktionieren als die aktuelle Infrastruktur? Im VERNEDCT-Projekt an der TU Ilmenau werden Konzepte entwickelt.

triebsmittel maximal ausgelastet sind? Vor rangiges Ziel ist es, den Ausnutzungsgrad zu erhöhen“, berichtet Prof. Westermann und führt aus: „Im derzeitigen Netz erhöht die Integration dezentraler Lasten wie PV-Anla gen und Ladestationen die Peak-Belastung, wohingegen sich die durchschnittliche Aus lastung des Netzes verringert.“ Mehr Netzsicherheit auch bei mehr Erneuerbaren Das von den Forscher:innen zu entwi ckelnde Stromnetz soll eigens auf die zu nehmende Nutzung regenerativer Energie zugeschnitten und eine höhere Betriebs sicherheit als das derzeitige Netz bieten. „Wir bedenken von Anfang an, wie wir ver maschen und Redundanzen einbauen kön nen, sodass wir ein höheres Schutzkonzept erreichen können“, so der Projektleiter. Die höhere Effizienz soll sich auch beimRes sourcenschutz widerspiegeln, wie Dirk Wes termann mit dem Minimal- und Maximal prinzip veranschaulicht. „Weniger Material bei gleichem Energietransport oder mehr Energietransport bei gleichbleibendemMa terialeinsatz.“ Schnellere Fehlerbehebung Methoden zur Vermeidung und schnelleren Behebung von Fehlern im laufenden Netz betrieb sollen bereits zu Beginn des Pro jekts mitgedacht werden, betont Dirk Wes termann: „Wenn heute ein Bagger ein Kabel beschädigt, kann es zu einem Kurzschluss kommen. Dann muss der ganze Leistungs zug abgeschaltet werden, es gibt kaum Red undanzen und imschlimmsten Fall sitzenBe

lung belastet das Verteilnetz enorm. In der Folge wird die Infrastruktur zunehmend in effizienter genutzt. DC-Stromnetz Statt wie bisher auf Wechselstrom, basiert das Konzept des VERNEDCT-Projekts auf demEinsatz vonGleichstrom. Dieser ermög licht es, Ströme und Spannungen im Netz einfacher zu steuern, wie Prof. Westermann erläutert: „Dies erlaubt eine höhere Aus lastung der Netzinfrastruktur insgesamt, etwa durch eine höhere Ausnutzung der Kabel und anderer elektrischer Geräte und Anlagen im Verteilernetz. Dadurch können Leitermaterialien für die Verteilung elektri scher Energie eingespart werden.“ Gleich stromtechnik wird auch zunehmend im Übertragungsnetz verbaut, mehrere große Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertra gungsleitungen (HGÜ) wie SuedOstLink, Sued-Link und A-Nord sind geplant. Drei Projektphasen Das auf sechs Jahre angelegte VERNEDCT Projekt startet im Juli 2023. Es sind drei Phasen vorgesehen: Zunächst sollen das Zielnetzdesign und die Technologie für die eingesetzten Umrichter festgelegt werden. In der zweiten Phase sollen die technischen Lösungen entwickelt und erprobt werden, die dann in der dritten Phase optimiert wer den sollen. „Wir wollen das bestehende Ver teilnetz komplett neu denken und uns dafür unter anderem mit zentralen Fragen ausein andersetzen. Wie soll die Netztopologie aus gestaltet sein? Welche Anlagen benötigt man für ein solches Zielnetz? Wie kann man Leis tungsflüsse intelligent regeln, sodass die Be Die Netzleitwarte an der TU Ilmenau, an der die Forschungsarbeiten zu Energieverteilernetzen be trieben werden. (Foto: TU Ilmenau/Michael Reichel)

Der Gleichstrom aus erneuerbaren Erzeugungs anlagen muss aktuell noch in Wechselstrom umgewandelt werden. (Foto: Roman Zaiets / shutterstock.com)

wohner:innen einige Tage im Dunkeln. Beim neuen Konzept soll der betroffene Netz abschnitt möglichst selektiv abgeschaltet werden können. Zudem soll eine Weiterver sorgung durch Redundanzen sichergestellt werden.“ Ein weiteres Anliegen der For scher:innen ist es, die Fehlerquelle mit mög lichst geringemGeräteeinsatz zu beseitigen. Im Projekt arbeiten Forscher:innen von sechs Fachgebieten der TU Ilmenau inter disziplinär zusammen. Drei Fachgebiete be arbeiten das Feld Netztechnologie: Dabei beschäftigt sich das Fachgebiet Elektrische Energieversorgung unter Leitung von Prof. Westermann mit Netzdesign, Netzregelung und dem Schutzkonzept für die Netze. Der Bereich Leistungselektronik entwickelt die Umrichter, die im neuen Netz verbaut werden sollen. Im Fachbereich Geräte und Anlagen geht es um neue Schaltgeräte für DC-Netze. „Ein weiterer Kollege aus dem Gebiet Energieeinsatzoptimierung arbeitet mit einem Kollegen aus der Mathematik zu Interdisziplinäre Zusammenarbeit

sammen, um Einspeiseprognosen zu mo dellieren sowie methodische Beiträge zur Regelung beizusteuern, damit das dynami sche Netz stabil bleibt“, erklärt Dirk Wes termann. Das Fachgebiet Empirische Kom munikation aus den Sozialwissenschaften untersucht die Akzeptanz der neuen Tech nologie in der deutschen Bevölkerung oder in Unternehmen. Die Projektergebnisse werden in regel mäßigen Abständen einem Transferbeirat vorgelegt und auf ihre Praxistauglichkeit hin überprüft. In diesem Beirat sitzen Vertre ter:innen der Stadtwerke München, Stadt werke Berlin, Stromnetz Hamburg, Schles wig-Holstein Netz, Thüringer Energienetze, Bayernwerk, Maschinenfabrik Reinhausen, Hitachi Energy, Siemens Energy, Fichtner Consulting, Power Consulting, E-T-A Elek trotechnische Apparate GmbH, Institut für Energiewirtschaftsrecht an der Fried rich-Schiller-Universität, Institut für Zu kunftsEnergie- und Stoffstromsysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft sowie Vertreter:innen der Landesentwick lungsgesellschaft Thüringen. Der Projektleiter ist überzeugt, dass das Zielnetz hohe Sicherheit bieten wird: „Wir entwerfen nicht nur eine neue Technolo gieplattform für Verteilernetze, sondern zeigen auch einen Weg zu ihrer Implemen tierung auf. Das ist der Einstieg in eine effi ziente und störungssichere Energieversor gung der Zukunft.“ (ds) www.tu-ilmenau.de

B ei der Planung der Stromnetze ermit teln die Netzbetreiber den langfris tigen Bedarf für einen sicheren und effizienten Netzbetrieb, beispielsweise be rechnen die vier Übertragungsnetzbetrei ber auf Grundlage des von ihnen erstellten Szenariorahmens den erforderlichen Netz ausbau. Daneben stellen Akteure wie die Deutsche Energie-Agentur und Forschungs institute eigene Überlegungen zur zukünf tigen Gestaltung der Stromnetze an. Dabei berücksichtigen sie auch Möglichkeiten zur effizienteren Auslastung des bestehen den Netzes durch intelligente Steuerung, Flexibilisierung sowie neue technische Ge räte und Anlagen. Diesen Ansatz verfolgt

auch ein Team der TU Ilmenau unter der Leitung von Prof. Dirk Westermann im For schungsprojekt „Verteilernetz-DC-Technolo gie (VERNEDCT)“. Ausgehend vom derzeitigen Netz, das den Strom in eine Richtung vom Kraftwerk in das Übertragungsnetz und dann zum Verbraucher transportiert, fließt der Strom im von der TU Ilmenau modellierten Netz von hunderttausenden dezentralen Erzeu gungsanlagen in alle Richtungen. Da die Photovoltaik- oder Windkraftanlagen den Strom zeitlich und mengenmäßig unregel mäßig in alle Spannungsebenen einspeisen, schwankt die Auslastung der Verteilernetze erheblich. Diese neue Art der Energievertei

Hochspannungs-Gleichstrom- (HGÜ)-Kabellösungen kommen bereits in den neuen Übertragungs

korridoren zum Einsatz. (Foto: NKT GmbH & Co. KG)

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