Blickpunkt Schule 1/2023

Druck im Kessel und das große Beschweigen

Editorial

D ie derzeitigen – und sicher auch zukünftigen – besonde ren Herausforderungen durch Inklusion, Integration, Personalman gel, Nachwirkungen der Corona-Krise und vieles mehr sind oft genug the matisiert worden, weiterhin auch die Feststellung, dass der Unterrichtser folg steht und fällt mit qualifiziertem Personal, das nicht überlastet ist. Ich habe den Eindruck, dass all die se Herausforderungen uns als unge löste Probleme erhalten bleiben. Zu unentschlossen und wenig durchgrei fend sind die Lösungsansätze aus den Etagen der Bildungspolitik, zu gering die Einsicht in die Notwendigkeit, Ab hilfe schaffen zu müssen. Wie weit muss die Talfahrt des deutschen Bil dungswesens mit dem Leistungsab sturz der Schülerinnen und Schüler noch gehen? An Belegen für die miss liche Entwicklung der Lernleistungen mangelt es nicht, entsprechende sta tistisch-empirische Daten liegen vor. Erinnert sei beispielsweise an den ’IQB-Schock’ , ausgelöst durch den IQB-Bildungstrend 2021, der besorg niserregende Kompetenzdefizite in der Schülerschaft am Ende der Grundschulzeit belegte, die nicht nur mit der Pandemie zu erklären sind. Die neuesten Ergebnisse der renommier ten Hattie-Studie, die von John Hattie und Klaus Zierer fortgeschrieben wur de (’Visible Learning: Auf den Punkt gebracht’), ergänzen die bittere Bi lanz. Man kann es nicht oft genug beto nen: BILDUNG bedingt die Innova tionskraft unseres Landes. Mit bil dungspolitischem Gesundbeten der Misere ist es nicht getan! Grundschulen bilden die Basis für unser Bildungssystem – sowohl für zentrale Fertigkeiten wie Schreiben, Lesen, Rechnen – wie auch Disziplin: einander zuhören, gemeinsam üben, einander respektieren. Lernen – und das gilt grundsätzlich – klappt nicht

und damit demWirtschaftsstandort Deutschland verloren geht, weil es nicht gefördert wird. Eine gute Bildung und Ausbildung schaffen die Grundlagen für allge meine gesellschaftliche Anerken nung, gelingende Integration und persönliche Unabhängigkeit – auch vom Sozialamt. Ein Thema hat jüngst in Hessen für Schlagzeilen gesorgt, der Druck im schulpolitischen Kessel hatte auch hier Erfolg: Die Eingangsbesoldung der Grundschullehrkräfte wird schritt weise von der Besoldungsgruppe A12 auf A13 angehoben. Und so manche Gymnasiallehrkraft reibt sich die Au gen. Wie angemessen ist die Anglei chung der Eingangsbesoldung aller Lehrämter, d.h. A13 auch für die Grundschullehrkräfte? Gleichwertigkeit und Anerkennung einer schulischen Tätigkeit sind das eine, dies soll auch nicht angezweifelt werden. Das andere ist aber, dass da bei die deutlichen Unterschiede in den beruflichen Belastungen nicht ausge blendet werden dürfen. Darauf ver weisen wir in unserer Pressemitteilung Wertschätzung aller Lehrämter – aber keine Nivellierung bei der Besol dung, sondern Beachtung der unter schiedlichen Arbeitsbelastung . Sachgerechte Argumente mussten bei der Einebnung der Eingangsbesol dung hinter moralisch-emotionalen zurückstehen. Die Befürworter der Egalisierung wähnen sich vermutlich im Besitz einer höheren Wahrheit. Die Realität mit ihren sehr unterschiedli chen Belastungen will man nicht ver stehen oder kann es – ideologisch blockiert – schlichtweg nicht. Dabei sollte das gemeinsame Ziel sein, den Abwärtskurs unseres Bil dungssystems zu stoppen. Aber ver mutlich hängt dies auch mit einem bil dungspolitischen Phänomen zusam men, das sich als das ’große Be schweigen’ bezeichnen lässt: Es gibt

von REINHARD SCHWAB Vorsitzender des Hessischen Philologenverbandes

imTollhaus! Lernen als Prozess braucht Struktur und einen Organisa tor, der diese Struktur kennt, vermit telt und einfordert. Individuelles Ler nen ist in jungen Jahren und für weni ger Leistungsstarke meist eine Über forderung mit negativen Folgen für den Lernprozess. Und hier haben wir schon ein Grundproblem: Gerade in der Grund schule versuchen praxisfremde Wis senschaftler, ihre modernen pädago gischen und lernpsychologischen Theorien anzubringen (Schreiben nach Gehör lässt grüßen!), unter stützt von parteiideologisierten Bil dungspolitikern, die allenfalls eine va ge Ahnung vom alltäglichen Schulbe trieb haben und gerne auf jeden mo dernen Zug aufspringen, und Finanz politikern, die im Bildungsbereich sparen wollen. Viel zu große Klassen sprechen Bände, vor allem gegenwärtig, wo ei nerseits Kinder allzu oft von ihren ’ge wissensgeplagten’ Eltern mit einem Überschuss an Selbstbewusstsein und wenig Sozialkompetenz ausgestattet werden, andererseits ’bildungsferne’ Elternhäuser die Pflicht, sich um den Schulerfolg ihrer Kinder zu kümmern, vernachlässigen. Hier spielt Erziehung ebenfalls eine wichtige Rolle. Auch wenn Eltern mit den Bildungsinhalten fremdeln, eventuell die deutsche Sprache nicht beherrschen, sind sie doch verantwortlich für ein häusliches Klima, das ihren Kindern die Bedeu tung schulischer Bildung aufzeigt. Es ist zutiefst bedauerlich, wie viel geistiges Potenzial brachliegen bleibt

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SCHULE

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