Cellitinnen 1_2017

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Sind im Seniorenhaus nur Senioren? Engagierte Betreuung und Reha schafft Lebensqualität

In der Regel leben in einem Se- niorenhaus eher Menschen, die die Sechzig weit überschritten haben. Ausnahmen bestätigen die Regel. So fand Anja S., 39 Jahre alt, nach einer schweren Erkran- kung den Weg ins Seniorenhaus Marienkloster in Düren-Niederau. Ein geplatztes Aneurysma hatte es erfordert, ihr die Schädeldecke zu öffnen, um den Hirndruck zu ent- lasten. Mobilität und Sprachfähig- keit waren lahmgelegt. Mit offener Schädeldecke dämmernd, infiziert mit einem Keim und beatmet durch einen Luftröhrenschnitt, lag die jun- ge Frau monatelang in einer Duis- burger Klinik. Währenddessen suchte Ehemann Marc verzweifelt nach einem Platz, wo seine schwerkranke Frau imDü- rener Raum Pflege, Versorgung und neurologische Reha bekommen könnte – und fand ihn nicht. Bis er im Dürener Marienkloster anrief. Das ganze Team beschäftigte sich eingehend mit dem Krankheits- zustand der jungen Frau. Auch die Familie sollte einbezogen werden, Marc und Anja haben zwei Kinder, die die schwer erkrankte Mutter seit dem Unfall noch nicht gesehen hatten. Der pflegerische Umgang mit der offenen Schädeldecke, vor dem die meisten Häuser zurückgeschreckt

waren, erwies sich nach Anjas Einzug in das Marienkloster als das kleinste Problem. Ein schicke Wollmütze auf dem Kopf gab allen um Anja herum einen Hauch von Normalität. Auch der Keim konnte beseitigt werden. Je mehr sich die junge Frau mit Ruhe einlebte, umso sichtbarer lebte sie auf und nahm mit aufmerksamem Blick am Le- ben teil. Täglich wurde ihr Zimmer bunter und persönlicher gestaltet, sodass sie immer etwas Vertrautes zu sehen bekam. Regelmäßig traf sich das Team mit Mitarbeiterseelsorgerin Maria Adams und Wohnbereichsleitung Yvonne Eibl, um Erfahrungen aus- zutauschen und eigene Unsicher- heiten und Fragen zu benennen: „Wie spreche ich mit ihr, wenn sie doch nicht antworten kann?“ „Das Ganze macht mich auch traurig, sie ist noch so jung.“ „Wie können wir herausfinden, was sie wirklich will?“ „Wie kriegen wir das Zähneputzen hin, ohne ihre Atmung zu gefähr- den?“ Auch Ehemann Marc nahm am Austausch teil: „Irgendwie sind alle hier im Marienkloster wie die erweiterte Familie, sehr nah und trotzdem sehr kompetent“, lobt er. Erfahrungen sammeln

Wochen Abstand. Die Runde be- schloss, dass Anja S. über Handy und Whatsapp mit ihren Lieben in Verbindung bleiben sollte – mit den Pflegenden und Betreuungs- kräften als Helfer, die ihr Texte und Fotos zugänglich machten und für sie antworteten. Die Familie war begeistert. Nicht lange nach dem Einzug war zu spüren: Anja S. will mehr! So plante das Team in Zusammen- arbeit mit Ergo- und Physiothera- peuten Mobilitätsübungen, die die junge Bewohnerin den ganzen Tag über beschäftigen und das Gehirn anregen sollten. Selbst ihr Frausein bekam einen Stellenwert, den das Teammit Maniküre und Schminken unterstützt, so wie sie es vor dem Unfall gewohnt war. Ihre Literatur- vorlieben wurden abgefragt, so- dass die Betreuungskräfte in der Auswahl der Bücher zum Vorlesen genau den Geschmack der jungen Frau trafen. Selbst die Mitbewohner auf dem Flur schauten oft bei der ‚netten jungen Dame‘ vorbei. Die junge Familie war Teil des Wohnbereichs. Die Mitarbeiter haben einen enor- men Zuwachs an Kompetenz und Sicherheit erfahren, weil sie den Mut hatten, diese ungewöhnliche Bewohnerin aufzunehmen.

In den Sommerferien brauchten Ehemann und Kinder mal zwei

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