Cellitinnen 1_2017

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„Wo es mir gefällt, da bleibe ich“ Aus der Reihe: Lebensgeschichten von Seniorenhaus-Bewohnern

Inge Klein (88) ist eine waschechte Kölnerin, aber nicht im herkömm- lichen Sinn. Sie ist kein ‚jeckes kölsches Original‘. Ihre Sprache lässt eher auf Hannover als auf die rheinische Metropole als Ge- burtsort schließen. Dass sie ihrer Geburtsstadt immer treu blieb, ist mehr eine Fügung als eine be- wusste Entscheidung. 1928 kam sie in der Südstadt zur Welt, zog mit ihren Eltern zwei Jahre später in eine Wohnung auf der Thekla- straße in Weidenpesch – und blieb dort 83 Jahre lang. Sie wuchs als

behütetes Einzelkind auf, das es gewohnt war, alleine zu spielen. Sie schaute der Mutter beimNähen zu und liebte es, dabei Garnrol- len und Knöpfe zu sortieren. „Ich war ein glückliches Kind. Schon als Baby habe ich immer gestrahlt und als Teenager konnte ich ohne Anlass Lachkrämpfe bekommen, sehr zum Ärger meines Vaters.“ Mit anderen Kindern auf der Straße zu spielen, ließen die Eltern nach einer Rangelei mit den Nachbarskindern nicht mehr zu. Aber das war Inge Klein egal, denn Mutter und Vater kümmerten sich liebevoll um sie, spielten mit ihr und legten in aus- gedehnten Spaziergängen den Grundstein für ihre Liebe zumWan- dern. „Jungen Müttern empfehle ich diese Erziehungsmethode nicht. Sie bereitet die Kinder nicht auf das Leben vor“, mahnt sie. „So allein, musste ich mich allerdings auch nicht mit Geschwistern oder Freun- dinnen zanken“, wägt sie ab und lacht. Typisch für die ältere Dame, in jeder Situation einen positiven Aspekt zu finden. Das Aufwach- sen ohne Gleichaltrige hat ihrem Frohsinn und Lebensmut jedenfalls nichts anhaben können. Lebensweg Als junge Frau trat sie in die Fuß- stapfen der Mutter und machte eine Ausbildung mit Gesellenprüfung zur Schneiderin. In den fünfziger Jahren war das Schneiderhandwerk nicht

mehr gefragt. Blusen, Röcke und Kleider kaufte man nun ‚von der Stange‘. Also sattelte Inge Klein um auf Bürokauffrau und fing bei der J. Witt & Co. KG, Großhandel für Werkzeuge an, von der sie sich mit 60 Jahren in die Frührente ver- abschiedete, als das Augenlicht stark nachließ. „Wo es mir gefällt, da bleibe ich“, erklärt Inge Klein ihre Treue

zu Wohnung, Beruf undMann. Während ihrer Umschulung verliebte sie sich im Englischkurs

in ihren Lehrer, den

sie kurz d a r a u f he i r a t e - te – aus Liebe,

und um die elterliche Wohnung nach dem Tod von Mutter und Vater halten zu können. Inge Kleins Mann war 17 Jahre älter als seine Frau. „In einer Beziehung muss man sich gegenseitig tolerieren und dem anderen Freiraum lassen“, erklärt sie ihr Rezept für eine 52 Jahre andau- ernde glückliche Ehe. Freunde, Kino, Restaurantbesuche – das brauchten beide nicht, denn sie waren sich selbst genug. „Mein Mann hatte seine Sprach- und Fachliteratur, ich meine Romane, Handarbeiten und meine Sammelleidenschaft für Ku- scheltiere.“ Kleider, Pullover, Mützen und Schals für ihn, sie selbst und die Mitbewohner aus Plüsch wur- den fleißig gestrickt. In den Ferien

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