Blickpunkt Schule 1/2024

Titelthema

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Bildungssprache – was sie bezeichnet und weshalb sie wichtig ist I m Zusammenhang mit Bildungs einem bestimmten sozial-funktiona len Kommunikationsfeld dar, und zwar

hen Anforderungen seitens der Schule zu verzichten? Schließlich werden die jenigen bestraft, die zum Beispiel auf grund ihrer Herkunft die entsprechen den sprachlichen Erfahrungen nicht mitbringen, von denen also Habermas zufolge die Mittel der Schulbildung nicht genutzt werden können, um sich das entsprechende Orientierungswis sen zu beschaffen. Statt diese Schü lerinnen und Schüler zu überfordern, könnten Texte in einfache Sprache umgewandelt und bei der Textproduk tion auf allzu strenge Kriterien ver zichtet werden. Diese Form der Über brückung von Sprachbarrieren gibt es ja tatsächlich und im Bereich des Le sens und Rechtschreibens (die beide Grundvoraussetzungen für die Be herrschung der Bildungssprache sind) ist sie sogar per KMK-Beschluss 1 ab gesichert. Gegen eine solche Praxis spricht aber, dass Bildungssprache mehr ist als die sprachliche Perfor manz der Gebildeten bzw. als ein Be leg für den individuellen Bildungs stand. Sie ist immer auch eine Sprachform, durch die Bildung erwor ben wird, weil mit ihr Inhalte auf eine bestimmte, besonders präzise Weise kodiert werden können. Denn die ihr eigenen formal sprachlichen Merkmale fungieren in erster Linie als Mittel, um komplexe Zusammenhänge für eine unbekannte Leserschaft objektiv, unmissverständ lich und sachlich angemessen darzu stellen, wodurch sie »kognitive Funk tionen und die Erkenntnisleistung stützen« (Feilke 2012, S. 10). Aus die sem Grund hat Bildungssprache in der

nachteilen und Lernschwierigkei ten, insbesondere bei Kindern aus Zuwandererfamilien, zählt ‘Bildungs sprache’ aktuell sicherlich zu den häufig verwendeten Begriffen. Oft wird er synonym für Bildungsbarrieren aufgrund sprachlicher Kompetenzlü cken verwendet, die es zu überwinden gilt. Auch wenn dem Fach Deutsch hier naturgemäß eine Schlüsselrolle zukommt, herrscht inzwischen Kon sens darüber, dass Sprachbildung Aufgabe aller Fächer und Schulstufen ist, weshalb sie heute in den meisten Kernlehrplänen implementiert ist. Der Begriff stellt im Prinzip einen Arbeitsterminus dar, der je nach Perspektive Unterschiedliches be schreibt. Habermas, der ihn bereits 1977 prägte, verstand darunter in ers ter Linie ein »mit Mitteln der Schulbil dung verschafftes Orientierungswis sen«, das sich »von der Umgangs sprache durch die Disziplin des schriftlichen Ausdrucks und durch einen differenzierteren, Fachliches einbeziehenden Wortschatz« unter scheide (1977/1981, S. 345). Ortner (2009, S. 2227) beschreibt Bildungs sprache als »Sprache, in der besonde res Wissen auf eine besondere Weise behandelt wird«. Bildungssprache ist nach diesen Vorstellungen keine eige ne Varietät, keine distinkte Sprache, sondern stellt eine Sprachgebrauchs form bzw. ein sprachliches Register in Zur Bedeutung von ‘Bildungssprache’

eines, welches der gesprochenen Sprache des alltäglichen Umgangs diametral entgegengesetzt ist: Bil dungssprache weist Merkmale der Schriftsprache auf, indem sie sich grammatischer und lexikalischer Mit tel bedient, die fachlich konnotiert sind bzw. mit höherer Bildung assozi iert werden (daher »Bildungs«spra che). Der Gegenpol ist dementspre chend das informelle oder intime Re gister, bei dem die Kommunikations partner einander so vertraut sind, dass eine explizite Sprache gar nicht notwendig ist. Wir kennen dies aus der eigenen Sprachpraxis: Bei engsten Freunden oder Verwandten, mit denen wir Erfahrungen, Einstellungen, Vor lieben etc. teilen, reichen Andeutun gen und verkürzte Ausdrücke zum Verständnis aus. Das Gleiche funktio niert in klar definierten, ritualisierten Kontexten, etwa bei der Frage nach dem Weg zum Bahnhof: Einfache For meln, Zeigegesten, wenige Begriffe führen auch hier in der Regel zum Ziel. Bildungssprache als Instrument sozialer Ausgrenzung? Wenn auch einfachere Mittel ausrei chen, sich grundsätzlich zu verständi gen, ist dann überhaupt gerechtfer tigt, der Bildungssprache eine so gro ße Relevanz beizumessen, bzw. wäre es im Sinne der Bildungsgerechtigkeit nicht besser, zum Beispiel durch Nachteilsausgleich auf diese teils ho

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