Blickpunkt Schule 1/2024

Regel darstellenden Charakter; in der Alltagskommunikation, in der es meist stärker um soziale Interaktionen geht, ist sie meist weniger angemessen. Im Deutschunterricht soll in Hinblick auf adressatengerechten Sprachgebrauch – so geben es die Bildungsstandards vor – genau dieser Unterscheid von den Schülerinnen und Schülern reflek tiert werden. Damit dies gelingen kann, muss neben der Alltagssprache auch das schrift- bzw. bildungs sprachliche Register entwickelt sein. Wer ist potenziell benachteiligt? Dass die Entwicklung bildungssprach licher Kompetenzen für manche Kin der so schwer ist, liegt vor allem da ran, dass sie in ihrer Alltagsumwelt kaum vorkommt; viele Kinder sind au ßerschulisch selten oder nie einem In put ausgesetzt, der ihnen die entspre chenden Merkmale präsentiert, und wenn, können sie sich nicht damit identifizieren, weil sie sie nicht als Teil ihrer Sprache verstehen. Betroffen sind dabei nicht nur und nicht unbe dingt Kinder und Jugendliche anderer Herkunftssprachen. Auch monolingu al-deutschsprachige Schülerinnen und Schüler scheitern potenziell an den sprachlichen Anforderungen, so wohl im Mündlichen als auch im Tex teschreiben oder Leseverstehen, wie unter anderem die IQB-Bildungs trends 2021 für die Grundschule bzw. 2022 für die Sekundarstufe belegen. Zwar haben Jugendliche mit Zuwan derungsgeschichte in den Bereichen Zuhören und Lesen durchschnittlich am schlechtesten abgeschnitten; bundesweit sind die Kompetenzen je doch in allen getesteten Bereichen (Zuhören, Lesen, Orthografie) un- abhängig vom Zuwanderungsstatus signifikant zurückgegangen, wobei es zwischen Jugendlichen der zweiten Zuwanderergeneration und solchen ohne Zuwanderungsgeschichte kei nen signifikanten Unterschied gibt. Wahr ist aber auch, dass bei Kin dern vor der Einschulung die in der Fa milie gesprochene Sprache sowie die Migrationsgeneration in einem deutli

chen Zusammenhang mit den Wort schatzkompetenzen im Deutschen stehen (vgl. DIPF Bildungsbericht 2016). Dies wiederum unterstreicht die Wichtigkeit, Kindern so früh wie möglich »effektive Lerngelegenheiten für den Erwerb und die Weiterent wicklung bildungssprachlicher Kom petenzen […] zur Verfügung zu stel len« (IQB-BT 2016). Ohne entspre chende Unterstützung besteht an sonsten die Gefahr, dass sprachlich begründete Leistungsunterschiede mit zunehmendem Alter immer grö ßer werden, weil auch die kompeten ten Kinder ihre Sprachfähigkeiten ste tig weiterentwickeln. Möglichkeiten der Unterstützung Laut dem IQB-Bericht von 2016 spie len drei Faktoren eine maßgebliche Rolle für den individuellen Bildungser folg: 1. die Art der Erwerbstätigkeit in den Familien, 2. die Lebens- und Fa milienformen sowie 3. der Bildungs stand der Eltern. Diese Faktoren kön nen die Bildungsinstitutionen nicht beeinflussen. Was sie aber kontrollie ren können, ist der sprachliche Input, der nachweislich eine tragende Rolle bei der Entwicklung sprachlicher Kompetenzen und Fertigkeiten spielt. Unter dem Begriff ‘Early Literacy’ ver sammelt sich eine inzwischen reiche Sammlung an sprachlichen Lernkon zepten für die Vorschule, mit denen schrift- bzw. bildungssprachliche Grundlagen und Vorläuferfertigkeiten spielerisch entwickelt werden können. Frühe schriftsprachliche Erfahrungen sind übrigens in jedweder Familien sprache wertvoll, da durch sie die Schwelle zum formalen Sprachge brauch überschritten werden kann. Neben dem Input gibt es eine Reihe von flankierenden Faktoren, die die Sprachentwicklung in KiTa und Schule begünstigen und den Kindern zu ei nem positivem Selbstbild verhelfen können, zum Beispiel durch Zulassen von Mehrsprachigkeit und Anerkennen, dass diese kei nen Makel, sondern ein großes Potenzial für sprachliches Lernen →

darstellt, unter anderem durch Transfer und größere Möglichkei ten des epistemischen Sprechens und Denkens. Aus den USA stammt das Konzept des ‘Trans languaging’ (García & Wei 2014), bei dem die Lernenden ihr gesam tes (viel-)sprachliches Repertoire ausschöpfen sollen, anstatt aus schließlich auf die Mehrheitsspra che festgelegt zu werden; Anerkennung, dass mehrspra chige Kinder nicht schlechter ler nen als monolinguale, sondern sprachlich anders und in dieser Andersartigkeit unterstützt wer den müssen. Statt schlechte Leis tungen negativ zu bewerten oder nur oberflächlich zu fördern, bie ten sich Scaffolding-Maßnahmen an, mit denen zielgenaue und in dividuelle sprachliche Hilfestel lung gegeben wird, sodass die Kinder die eigentlichen Kompe tenzanforderungen bald allein meistern können; Sensibilisierung für die Funktions seite von Sprache und Umdeuten von Fehlern als Lernanlass: Es macht einen Unterschied, ob Schülerinnen und Schüler wahr nehmen, dass ihr Sprachausdruck nicht den (für sie oftmals diffu sen) Anforderungen entspricht und sie dementsprechend schlecht benotet werden, oder ob sie begreifen, dass dadurch die In halte falsch oder zu ungenau ver standen und transportiert wurden. Ausblick Abschließend sei hervorgehoben, dass es so etwas wie » eine Qualifikation Bildungssprache« (Ortner 2019; Her vorhebung i.O.) nicht gibt; stattdessen haben wir es mit »graduell messbaren Qualifikationen« (ebd.) auf allen sprachlichen Ebenen zu tun, die nicht unbedingt sämtlich bildungssprach lich ausgebaut sein müssen: So, wie ein Text bzw. eine Äußerung lexikalisch elaboriert, jedoch grammatisch all tagssprachlich sein kann, kann man sich auch stilistisch bildungssprachli che Texte vorstellen, die inhaltlich → →

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SCHULE

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