Blickpunkt Schule 1/2024

Befund ist konsistent mit den Ergeb nissen anderer Studien. Lesebezogene Einstellungen und das Leseverhalten sind weitere Fakto ren, die Einfluss auf den Erwerb der Lesefertigkeiten haben. Bereits PISA 2018 stellte fest, dass die Lesefreude und die Lesemotivation der Fünfzehn jährigen in Deutschland gegenüber früheren Studien zurückgegangen waren, mehr Schüler nicht zum Ver gnügen lesen (50 Prozent), die durch schnittliche Länge der gelesenen Tex te abnahm und der Anteil digital gele sener Texte stieg. Befunde des 2022 erhobenen IQB-Bildungstrends haben diesen Trend bestätigen können. Fazit Der starke Rückgang der Lesekompe tenzen der deutschen fünfzehnjähri gen Schüler in PISA 2022 markiert ei ne besorgniserregende Entwicklung, die sich nicht dadurch relativiert, dass die Entwicklung auch international zu beobachten ist. Dies gilt umso mehr, als der Trend sich weder durch die Fol gen der Corona-Pandemie noch durch Veränderungen in der Zusammenset zung der Schülerschaft vollständig er klären lässt. Eine besondere Heraus forderung für die Schulen stellt der zunehmende Anteil von Schülern dar, deren Muttersprache nicht Deutsch ist und in deren Familien kein Deutsch gesprochen wird. Kompetenzrück gänge sind aber auch in den Gymna sien und bei Schülern mit vorteilhafter sozialer Herkunft zu beobachten. Die PISA-Studie kann mit diesen Befun den zwar Handlungsbedarfe identifi zieren, aber nicht die Ursachen be nennen. Jens Fischer-Kottenstede, Ministerialrat im Hessischen Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen Der Beitrag gibt die persönliche Sicht des Autors wieder. 1 Zu den nicht gymnasialen Schularten zählen alle Schulformen mit Ausnahme des Gymnasiums, der Förder-, Sonder- und beruflichen Schulen. Die letzten drei machen einen Anteil von etwa fünf Prozent der Stichprobe aus. 2 Die EGP-Klassifikation berücksichtigt Angaben zum Beruf, zur Art des Beschäftigungsverhältnis ses sowie zur Weisungsbefugnis der Erziehungs berechtigten und teilt diese in sieben Klassen ein (I – VII).

auch für 2022 angenommen werden, da er in PISA 2022 auch für die Kom petenzen in Mathematik beobachtet wurde. Die größere herkunftsbezoge ne Heterogenität der 1. Generation gegenüber früheren Jahren schlägt sich auch in größerer sprachlicher Heterogenität nieder, verbunden mit größerer linguistischer Distanz zwi schen den Herkunftssprachen und der Unterrichtssprache Deutsch, nie der. Eine Sonderauswertung der OECD zu PISA 2015 kam zu dem Er gebnis, dass, auch international, auf individueller Ebene der Kompetenz rückstand mit der linguistischen Dis tanz steigt. Der sozioökonomische berufliche Status und die Bildungsdauer der El tern von Schülern mit Zuwanderungs hintergrund sind in Deutschland im Mittel deutlich niedriger als bei Schü lern ohne Zuwanderungshintergrund, was aus der Struktur der Zuwande rung heraus erklärbar ist. Analysen des IQB im Rahmen der ‘Bildungs trend’-Studie haben ergeben, dass, wird der niedrigere Sozialstatus der Zugewanderten berücksichtigt, die Leistungsunterschiede zwischen nicht Zugewanderten und Zugewanderten – mit geringen Unterschieden je nach Herkunftsgruppe – fast verschwin den. Die Tatsache, zugewandert zu sein, ist also für den Bildungserfolg von geringerer Bedeutung als die fa miliäre Umgebung. Der häusliche Sprachgebrauch ist vor allem für zugewanderte Schüler ein wesentlicher Faktor, der den er folgreichen Erwerb der Bildungsspra che Deutsch beeinflusst. Umso pro blematischer erscheint der Befund, dass ein zunehmender Anteil der grö ßer und heterogener werdenden Gruppe der zugewanderten Schüler zu Hause kein oder nur wenig Deutsch spricht. In PISA 2022 berichten nur wenig mehr als die Hälfte der zuge wanderten Schüler (51,6 Prozent), zu Hause Deutsch zu sprechen. Bei den selbst zugewanderten Schülern liegt dieser Anteil bei lediglich 12,5 Prozent. Noch 2012 lagen diese Anteile, bei ei ner insgesamt kleineren Gruppe, bei 72,1 Prozent bzw. 35,5 Prozent. Dieser

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aller Schüler. Im Vergleich zu 2012 entspricht dies einer Zunahme um 12,9 Prozent oder der Hälfte. Der An teil der 1. Generation stieg von 3,7 Prozent auf 9,2 Prozent, aber auch der Anteil der 2. Generation nahm von 11,9 Prozent auf 16,6 Prozent zu. Dabei ist Gruppe der Zugewanderten deut lich heterogener als noch 2012. Wäh rend die Anteile der Schüler aus der ehemaligen Sowjetunion, der Türkei und Polen annähernd unverändert geblieben sind, kamen 2022 bereits 4,8 Prozent aller Schüler aus arabi schen Ländern und weitere 19,9 Pro zent (2012: 13,5 Prozent) aus allen an deren Ländern. Gymnasien werden von rund 30 Prozent der zugewander ten Schüler besucht, während der An teil bei nicht zugewanderten Schülern bei 44 Prozent liegt. Für 2022 liegen keine Analysen zu den Leseleistungen nach Zuwande rungshintergrund vor, jedoch stellte PISA 2018 fest, dass die Leseleistun gen der Zugewanderten deutlich un ter denen der nicht Zugewanderten liegen und bereits 2018 vor allem bei den Zugewanderten der 1. Generati on ein negativer Trend der Leseleis tungen gegenüber früheren PISA Runden auszumachen war. Ein Zu wanderungshintergrund ist aber nicht zwingend mit schlechteren Le seleistungen verbunden. Tatsächlich zeigten 2018 die Kompetenzen der 2. Generation eine positivere Entwick lung als die Kompetenzen der nicht Zugewanderten. Dieser Befund darf

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