Blickpunkt Schule 1/2024

Titelthema

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Sprache und soziale Gerechtigkeit D ie für Deutschland sehr be sorgniserregenden Ergebnisse der PISA-Studie 2022 waren sichtigt wie etwa den Bildungsstand der Eltern, die zu Hause vorhandenen Kulturgüter und – ganz wichtig – die Beherrschung der deutschen Sprache. von HEINZ-PETER MEIDINGER Ehrenpräsident des Deutschen Lehrerverbandes

Anfang Dezember 2023 kaum veröf fentlicht, als schon die ersten Rufe nach Schulstrukturänderungen er tönten. Andreas Schleicher, Leiter des OECD-Direktorats für Bildung und all bekannter PISA-Koordinator, verstieg sich sogar zu der Forderung, das Gymnasium abzuschaffen, um bil dungsbedingte soziale Ungleichheiten in Deutschland abzubauen. Richtig ist, dass die neue PISA-Stu die für die weiterführenden Schulen bestätigt, was sich zuvor schon beim IQB-Vergleich und der IGLU-Studie für den Grundschulbereich abge zeichnet hat. Seit etwa 2015 erleben wir nicht nur einen signifikanten all gemeinen Leistungseinbruch bei schulischen Vergleichstests, sondern insbesondere auch eine massive Zu nahme der Schülergruppe, die sowohl in Mathematik als auch in Deutsch (Lesen, Schreiben, Zuhören) nicht über die unterste Kompetenzstufe hi nauskommt. Von 2018, der vorletzten PISA-Studie, bis 2022 hat die Zahl le seschwacher Jugendlicher von 20 auf 25 Prozent zugenommen. Diese Grup pe ist qua definitionem nicht in der Lage, selbst aus relativ einfachen Tex ten die notwendigen Sinnenthalte zu entnehmen – ihr fehlt somit die grundlegendste Voraussetzung für er folgreiches Lernen. Die Leistungs schere hat sich also weiter geöffnet,

Allerdings ist in Deutschland diese Koppelung relativ eng, das heißt die Varianzbreite relativ gering.

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Ursachen für den Leistungsabsturz

wodurch sich in der Tat die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit neu stellt. Allerdings zeigt die große Mehrheit entsprechender empirischer Studien, dass Schulstrukturänderungen oder gar die Auflösung von Gymnasien überhaupt keinen Beitrag zu mehr Bil dungsgerechtigkeit liefern können. Beispielsweise sind in den letzten bei den PISA-Studien vorzugsweise skan dinavische Länder wie Schweden und Finnland leistungsmäßig massiv ein gebrochen, Länder, die für ihre Ge samtschulsysteme bekannt sind. Das vor allem von linker Seite immer wie der intonierte Gerede vom »Welt meister der Bildungsungerechtigkeit« Deutschland hat übrigens noch nie gestimmt. Auch jetzt bei PISA 2022 zeigen die Begleituntersuchungen, dass der sogenannte soziale Gradient, also der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg für Deutschland nicht steiler bzw. größer ist als im Durchschnitt der Teil nehmerländer, insbesondere wenn man bei der Analyse der sozialen Her kunft neben der sozioökonomischen Lage noch weitere Faktoren berück

Der Leistungsabsturz deutscher Schüler hat sicher sehr verschiedene Facetten, Aspekte und Ursachen. Da bei muss sicher auch Corona themati siert werden. Besonders auffallend ist aber das im Durchschnitt äußerst schlechte Abschneiden von Kindern mit Zuwanderungshintergrund, die in zwischen etwa 40 Prozent der Ge samtgruppe ausmachen gegenüber nur 25 Prozent noch vor 10 Jahren, was natürlich auch größere Auswir kungen auf das Gesamtergebnis be deutet. So beträgt die Leistungsdifferenz zwischen Kindern ohne und mit Mi grationsgeschichte im Bereich der Le sekompetenz 67 Punkte, nimmt man die Kinder der ersten Zuwanderungs generation, sind es sogar über 100 Punkte. Das sind letztendlich rund zwei Lernjahre. Schulpraktiker wissen, was das heißt, wenn sich in einer Klas se solche Disparitäten auftun, ganz abgesehen von der riesigen Hypothek, die diese Kinder für ihre Zukunft mit schleppen. Von Kritikern wird ange

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