Blickpunkt Schule 1/2024

Arbeitszeitberechnung – ein heißes Eisen D as ist angesichts des sonst in der Schullandschaft vorherr schenden Reformeifers eine Lehrerarbeitszeit wird seit 1873 auf Basis von Deputatsstunden be rechnet, zunächst auf Basis von 60-Minuten-Unterrichtsstunden und seit dem frühen 20. Jahrhundert zunehmend im 45-Minuten-Takt.

kumentationsaufgaben. Warum wird die Thematik der Arbeitszeitberech nung nicht mit Nachdruck angegan gen? Warum gibt es keine konkreten Forderungen seitens der Interessen vertretungen? Ein Aspekt ist dabei si cher die Problematik der Unterschei dung zwischen Arbeitszeit und Ar beitsbelastung. Arbeitsbelastung ist etwas sehr Individuelles und lässt sich zwar aus konkreten Arbeitsbedingun gen wie beispielsweise der Arbeitsum gebung ableiten, wird aber letztend lich immer subjektiv bewertet. Arbeitszeit zu erfassen, so sollte man glauben, kann hingegen nicht so schwierig sein und dazu existieren ja auch bereits etliche Studien, die alle samt überdurchschnittlich hohe Werte auswerfen. Also warum wird nicht ge handelt? Aus welchen Gründen wehren sich Kultusministerien gegen die 2022 vom Bundesarbeitsgericht auferlegte Pflicht zur Arbeitszeiterfassung? Zur zeit liegt es mit Sicherheit am Lehr kräftemangel und sonst höchstwahr scheinlich am lieben Geld. Es gibt vermutliche gute Gründe, warum auch Interessenvertretungen dieser Maßnahme skeptisch gegen über stehen. Zum Beispiel: Was bringt eine solche Erfassung, wenn darüber diskutiert wird, was zu den Aufgaben einer Lehrkraft gehört und somit er fasst werden muss, oder schlimmer, wenn die Kultusbehörde einfach darü ber entscheidet, was sie erfassen las sen möchte? Nimmt man § 2 des Hes sischen Schulgesetzes (https://www. rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/docu ment/jlr-SchulGHE2022pP2/part/S, aufgerufen am 24. November 2023), wird deutlich, welch unglaublich hoher Anspruch an die Lehrerschaft gestellt wird, und das noch, bevor die Auf schlüsselung in konkrete Tasks für eine Arbeitszeiterfassung erfolgt. Gehen wir nun mal davon aus, dass diese Erhe bung gemacht wurde und das Ergebnis wie erwartet ausfällt, nämlich dass die durchschnittliche Lehrerarbeitszeit zu hoch ist. Reduzierungen des Stunden deputats sind angesichts des Lehrer mangels illusorisch. Spielraum bietet also nur der Bereich, der nicht unmit telbar den Unterricht, dessen Vor- und

Klartext

zu Hause erledigt werden. Sei es, weil in den Schulen die adäquate Ausstat tung fehlt oder weil familiäre Verpflich tungen bestehen, vielleicht auch ein fach, weil man das eigene Arbeitszim mer vorzieht. Mit der Nutzung digitaler Kommunikationswege wird dieser Fak tor verstärkt. Allein, dass man auch au ßerhalb des Dienstortes erreichbar ist, kann zum Stressfaktor werden. Natür lich kann man Grenzen ziehen, aber das fällt vielen nicht so leicht, schließ lich ist Lehrkräften immer bewusst, dass es um Menschen geht. Vielleicht haben wir Lehrerinnen und Lehrer es auch versäumt, frühzeitig Grenzen zu ziehen, sondern unseren Idealismus obsiegen lassen und deswegen immer mehr Aufgaben übernommen, die in die Hände anderer Fachleute gehören. Vielleicht fehlt eine klare Aufgabenbe schreibung. Das mag in der Natur des Berufs liegen, der eine ganzheitliche Aufgabe ist und bleibt, dennoch haben wir das Recht oder sogar die Pflicht uns der Frage zu stellen, wo es auch zum Wohle unserer Schülerinnen und Schü ler ratsam ist, sie in die Hände von psy chologisch, therapeutisch oder sozial pädagogisch geschulten Personen ab zugeben. Ganz klar: Auch das ist eine Aufgabe, die zeitlich sowie mental be wältigt werden muss und deswegen Energie kostet. Erleichtert wird die Arbeit insge samt, wenn kollegiales Miteinander gegeben ist. Das ist natürlich abhän gig von den handelnden Personen, aber auch von geeigneten Rahmenbe dingungen. Die Konzeption gemeinsa mer Unterrichtsprojekte und die Erör terung pädagogischer Fragen bis hin zur Besprechung von Einzelfällen fin den in der schulischen Realität on top statt. Es wird kein Zeitbudget dafür vorgesehen, ebenso wenig wie für die Fülle weiterer Organisations- und Do

überraschend stabile Größe. Obwohl dieses Verfahren seit Jahrzehnten hin terfragt und diskutiert wird, besteht es bis heute. Es gab immer wieder Studi en, die belegen, dass Lehrkräfte im Jahresdurchschnitt länger arbeiten als andere Beschäftigte zum Beispiel im öffentlichen Dienst. Es zweifelt auch niemand mehr ernsthaft daran, dass während der Unterrichtswochen die Wochenarbeitszeit weit über dem rech nerischen Jahresdurchschnitt liegt, so dass Ruhezeiten noch nicht einmal an Wochenenden realisiert werden kön nen. Bedenkt man zusätzlich noch, dass Lehrkräfte einen Beruf ausüben, bei dem die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen einen hohen Stellen wert haben, kann man sich vorstellen, dass vielfach versucht wird, die Arbeits zeiten möglichst familienfreundlich zu legen – also in die späten Abend- bis Nachtstunden. Unterrichtsfreie Zeiten sind genauso wenig frei von Verpflich tungen, denn Korrekturen fallen auch dann an (mit Ausnahme der Sommer ferien) und die Grundkonzeption von Unterrichtsreihen, Erstellung von Ma terialien sowie die individuelle Weiter bildung unabhängig von organisierten Veranstaltungen werden oft notge drungen in diese Zeiträume (auch in die Sommerferien) verlegt, weil man dann an Projekten auch kontinuierlich arbei ten kann. Die Pflichtstundenzahlen ha ben sich über die Jahrzehnte nur ge ringfügig verändert, sehr wohl aber die Fülle an Aufgaben, die neben den un mittelbar unterrichtsbezogenen zu er ledigen sind. Die Folge ist, dass nicht nur die zeit liche Belastung hoch ist, sondern auch eine Entgrenzung stattfindet. Das fängt damit an, dass etliche Aufgaben

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