Blickpunkt Schule 1/2024

Titelthema

Mehr als nur die Summe der Einzelteile Zum Zusammenhang von Deutschkompetenzen und Bildungsgerechtigkeit

I n dem in Blickpunkt Schule 2/2022 erschienenen Beitrag ‘Gutes Deutsch – bessere Chancen’ wählte ich als Einstieg ein berühmtes Zitat des Linguisten Professor Henry Hig gins aus dem Musical My Fair Lady zum Zusammenhang zwischen Spra che und sozialer Schicht. »Sprache«, so die darin geäußerte Überzeugung, »mache den Menschen aus«, nicht aber seine Herkunft. 1 Seit dem Beitrag sind nunmehr fast zwei Jahre vergangen, und spätestens seit der Publikation der Bildungser gebnisse aus der achten Erhebungs studie zur funktionalen Grundbildung von Jugendlichen in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen (PISA 2022) ist der Zusam menhang zwischen Bildung und Merkmalen wie Geschlecht, besuchter Schulart sowie der sozialen Herkunft erneut in das Zentrum des medialen Interesses gerückt. 2 Die Formulierung »erneut« ist dabei bewusst gewählt, denn bereits die Analyse der PISA-Er gebnisse aus dem Jahr 2018, als das Lesen zuletzt als Hauptdomäne ge testet worden war, sowie die Auswer tung des IQB-Bildungstrends im Jahre 2021 hatten signifikante Zusammen

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hänge zwischen den Parametern der sozialen Herkunft und den erreichten Kompetenzen in den jeweiligen Do mänen aufgezeigt. 3 Verstärkend tritt in dieser Situation hinzu, dass der Zu sammenhang zwischen Sprachkom petenzen und Bildungserfolg inzwi schen als ressortübergreifender Kon sens in den verschiedenen Wissen schaftsbereichen gilt. 4 Ist das von Henry Higgins formulierte Diktum an gesichts der zitierten Befundlage nicht mehr relevant und überholt? Hat die Herkunft doch die dominante Aus sagekraft über schulische Leistungs fähigkeiten unserer Schülerinnen und Schüler 5 erlangt? Der folgende Beitrag will zeigen, dass die Stärkung der unterschiedli chen (bildungs-) sprachlichen Kom ponenten angesichts der aktuellen Herausforderungen, mit denen das System Schule konfrontiert ist, dring licher als je zuvor geboten scheint. Am Beispiel ausgewählter Maßnahmen, die in Hessen insbesondere in der Um setzung des Maßnahmenpakets Bil dungssprache Deutsch in den vergan genen Jahren ergriffen wurden, soll darüber hinaus verdeutlicht werden, dass sich eine konsequente Deutsch

förderung als schulische Quer schnittsaufgabe positiv auf Chancen- und Bildungsgerechtigkeit auswirkt: Bildungserfolg als das Ganze – in An lehnung an den Titel des Beitrags – ist eben doch mehr als nur die Summe seiner Teile. Zur Rolle von Unterricht und Eltern Wenn es um Teile geht, so hilft uns zunächst ein Rechenbeispiel weiter, um einen grundlegenden Baustein zu betrachten, der in der Diskussion, was Schule vor allem mit Bezug zum Auf bau von Deutschkompetenzen leisten kann und soll, zuweilen ungebührend vernachlässigt wird: Die Rolle und der Einfluss der Eltern und Familien im Er ziehungsprozess und somit auch im Prozess der Herausbildung sprachli cher Fähigkeiten. Die Rechnung lautet wie folgt: Von 365 Tagen im Jahr ge hen zunächst 106 Tage Wochenende ab, an denen keine Schulzeit anfällt. Sodann ergeben sich aus Schulferien und gesetzlichen Feier- und Brücken tagen etwa weitere 70 Tage, an denen kein Unterricht stattfindet. Geht man zusätzlich von etwa zwei bis drei Wo

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