Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2014 (Juli 2014)

Prof. Eugen Verspohl

Therapie-Komplikationen durch Nahrungs- und Genussmittel

• „ausreichend Flüssigkeit“: Gemeint ist Leitungswasser und nicht Mineral- wasser. Hinweis bei älteren Patienten: 250 ml und aufrecht sitzend, zur Ver- meidung von Ösophagusulzera. Dies ist ganz wichtig beispielsweise bei Ka- lium-Präparaten und Bisphosphonaten (siehe unten). • „Nüchtern“: Ein Abstand von zwei Stunden zur Mahlzeit kann nicht als Nüchterneinnahme bezeichnet wer- den, wenn süße Limonade, Apfelsaft, Milch oder Formuladiät mit einer Arz- neistoffaufnahme kombiniert werden. Triviale, allgemein bekannte Beispiele können hier nur gestreift werden, wie „bukkale Anwendung“ nicht bei vollem Mund, Milch nicht zusammen mit be- stimmten Antibiotika, Grapefruit-Proble- matik usw. Der gefüllte Magen besitzt ein Retardie- rungsmoment mit unterschiedlichen Aus- wirkungen: • Erhöhung der Zeit zwischen Applikati- on und Erreichen der maximalen Plas- makonzentration (t max ): Wirkung tritt verspätet ein • Erniedrigung der maximalen Plas- makonzentration (C max ): Wirkung ist schwächer, hält aber evtl. länger an • Veränderung der Gesamt-AUC (Fläche unter der Kurve). Die Verringerung der Absorptionsge- schwindigkeitskonstanten k a (Abbil- dung 1, rechts) durch Nüchterneinnahme, also der Geschwindigkeit, mit der ein Arz- neistoff resorbiert wird. Dies ist bei der Kurzzeittherapie wegen des raschen An- flutens des Arzneistoffs erwünscht (ra- Resorptionsbeeinflussung allgemein durch Nahrung

Der Patient hat gerade eine Tasse Kaffee oder ein Glas Mineralwasser vor sich ste- hen. Soll er oder muss er damit jetzt die Tabletten schlucken? Im viktorianischen Zeitalter mit seinen gesellschaftlichen Zwängen gab es solche Fragen nicht: Die in einer silbernen Pillendose versteckten Arzneimittel wurden heimlich ohne nach- zudenken unter dem Tisch hervorgeholt und zum Essen eingenommen. Die Anga- ben zu Interaktionen zwischen Arznei- stoffen und Nahrungsmitteln sind heu- te noch lückenhaft, manchmal einander widersprechend oder teilweise sogar ir- reführend, wenn die Untersuchungen an gesunden jungen Menschen und nicht an älteren und kranken Menschen mit ih- rem abweichenden Metabolismus durch- geführt wurden. Die Nahrungsaufnahme ist ein Unsicherheitsfaktor für die Arznei- therapiesicherheit, dies macht die Pati- enten-Beratung unabdingbar. Der Leser soll durch die Abschnitte „Hinweise“ pra- xisnahe Hilfen bekommen. Die Problemerkennung wird dadurch er- schwert, dass Wechselwirkungen zwi- schen einem Arznei- und einem Nah- rungsstoff gelegentlich in einer Abschwä- chung der Wirkung bestehen können und dann als therapeutischer Versager missge- deutet werden. Hinweise auf Beipackzet- teln fehlen häufig oder die Angaben sind nicht konkret (siehe Abschnitt „vor dem Essen“ und „nach dem Essen“). Anma- ßende Vorhersagen aus Analogieschlüs- sen „aus dem apothekerlichen Bauch he- raus“ sind kontraproduktiv (siehe Bei- spiele für Abweichungen innerhalb einer Arzneistoffgruppe), auch wenn pharma- kokinetische Interaktionen einer gewis- sen Systematik in Bezug auf Resorption, Elimination und Metabolismus unterlie- gen. Betroffen von Nahrungs- und Ge- nussmittel-Interaktionen sind über 300

Arzneistoffe, die in ca. 5.000 Präparaten enthalten sind und damit ca. zwölf Pro- zent aller Fertigarzneimittel betreffen. In den Arzneimittel-Zulassungsrichtlinien verschiedener Länder ist dieser Nahrungs- aspekt inzwischen berücksichtigt. Prof. Eugen Verspohl (Münster) studierte Pharmazie in Münster und wurde 1993 in Düsseldorf promoviert. Er habilitierte sich im Bereich der Pharmakologie und Toxikologie 1982 in Tübingen. Von 1991 bis zu seiner Emeritierung 2012 lehrte er als Professor für Pharmakologie in Müns­ ter. Er gründete die „Verspohl Stiftung“ und ist Träger der Verdienstmedaille der Apothekerkammer Westfalen-Lippe. Vorab präzisierende Hinweise zur Weiter- gabe an den Patienten • „Einnahme vor dem Essen“: ca. 60 bis 120 Minuten vor der Mahlzeit (nüch- tern) • „Einnahme während des Essens“: spä- testens fünf Minuten nach der Mahl- zeit • „Einnahme nach dem Essen“: Zwischen Mahlzeit und Einnahme sollte ein Ab- stand von 60 bis 120 Minuten liegen. Gemeint ist also nicht unmittelbar nach dem Essen.

13 Fortbildung aktuell – Das J urnal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lipp Fortbildung ktuell – D s Journal

Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 13

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