Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2014 (Juli 2014)

Arzneimittel in der Schwangerschaft

Infobox 1: Was passiert wann? Tag 1

in dem die Entwicklung besonders stör- anfällig ist. Während der Fetogenese (8. SSW bis zur Geburt) führen reprodukti- onstoxische Einflüsse eher zu Funktions- störungen, weil die Organsysteme ‚nur‘ noch reifen und sich an die bevorstehen- den Umstellungen nach der Geburt an- passen müssen. 7 Weil Auftreten und Ausmaß einer repro- duktionstoxischen Schädigung so stark zeitabhängig sind, ist es für die Risiko- abschätzung essenziell, dass genau fest- gehalten wird, wann und wie lange das fragliche Arzneimittel eingenommen wurde. Frau Meyer ist in der 8. SSW, al- so im 1. Trimenon und etwa in der Zeit, in der sich die Mund-Kiefer-Gaumenspal- te schließt. Prospektive klinische Studien an Schwan- geren sind nicht verboten, aber mit ho- hen ethischen und rechtlichen Auflagen verbunden, so dass sie nur für zwingende Indikationen durchgeführt werden, wenn ein bereits gut bekannter Wirkstoff mit einem vermutlich geringen teratogenen Risiko zur Verfügung steht. Daher basiert die Einschätzung des Risikos vor allem auf tierexperimentellen Studien, Fallbe- richten und Anwendungsbeobachtungen bzw. Spontanberichten. Davon gibt es na- türlich umso mehr, je länger ein Wirkstoff auf dem Markt ist. Ältere Wirkstoffe wer- den daher zur Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft bevorzugt. Allerdings sind das nicht unbedingt diejenigen mit dem größten klinischen Nutzen. Da Ergebnisse von Tierexperimenten we- gen der Unterschiede in der Pharmako- kinetik und Schwangerschaftsphysiologie nicht immer auf den Menschen übertrag- bar sind und Fallberichte einen geringen Evidenzgrad haben, ist die Einschätzung Wie lässt sich die Reproduktionstoxizität beurteilen?

die Zygote entsteht

Tag 4 die Blastozyste hat sich gebildet Tag 7-11 sie nistet sich in die Uteruswand ein Tag 13 Entstehung der Neuralfalte Tag 20 Bildung der ersten Somiten Tag 23 das Herz beginnt zu schlagen

die Knospen der vier Gliedmaßen und die Ohranlagen haben sich gebildet die Handteller an den oberen Gliedmaßen und die Linsen der Augen sind angelegt die Mund-Kiefer-Gaumenspalte hat sich geschlossen, der Fetus ist weitestgehend angelegt

Tag 28

Tag 38

Tag 60

Bis zur Geburt

Reifung

Natürlich gibt es individuelle Unterschiede in diesen Abläufen. Die Zeitangaben sind daher so zu verstehen, dass um den Tag X der jeweils beschriebene Prozess abläuft.

ben (siehe unten).

mitteltherapie dagegen eine ungeplante Schwangerschaft eingetreten, gilt es zu überlegen, ob die Wahrscheinlichkeit ei- ner fetalen Schädigung so groß ist, dass ein vorsorglicher Schwangerschaftsab- bruch gerechtfertigt ist, bzw. ob besonde- re Untersuchungen erforderlich sind, um eine Schädigung ausschließen zu können. In beiden Fällen ist die Beurteilung des re- produktionstoxischen Potenzials der ein- genommenen Arzneimittel der Dreh- und Angelpunkt der Nutzen-Risiko-Bewer- tung. Frau Meyer hat ein Antibiotikum ver- ordnet bekommen. Nicht alle Antibioti- ka dürfen während der Schwangerschaft eingenommen werden. Für die unkompli- zierte Zystitis sind für ansonsten gesunde, nicht-schwangere Frauen unter anderem 2. Generations-Cephalosporine, Fosfomy- cin oder Nitrofurantoin, für die Pyelone- phritis Gyrasehemmer oder Cephalospori- ne einsetzbar. 6 Nitrofurantoin und Gyra- sehemmer sind jedoch in der Schwanger- schaft zu vermeiden, weil sie im Verdacht stehen, teratogene Eigenschaften zu ha- Reproduktionstoxizität und Nutzen- Risiko-Bewertung

Ein Teratogen ist ein Agens, das die Ent- wicklung des Kindes im Mutterleib stören und eine Fehlbildung verursachen kann. Man unterscheidet verschiedene Klassen von Teratogenen: physikalische (Strah- lung), biologische (Infektionen) und che- mische (Chemikalien und Arzneistoffe). Teratogene haben eine phasenspezifische Wirkung 7 : Wenn sie in der sehr frühen, präembryonalen Schwangerschaft einwir- ken, ist bei einer starken Schädigung die Schwangerschaft zu Ende (meist bevor sie überhaupt bemerkt wurde). Andernfalls sind die verbleibenden, noch kaum dif- ferenzierten Zellen in der Lage, die zer- störten Zellen vollständig zu ersetzen, so dass ein ungeschädigtes Kind entsteht („Alles-oder-nichts-Prinzip“). Teratogene Schädigungen während der Embryogenese (3. bis 8. Schwanger- schaftswoche, (SSW)) erzeugen struktu- relle Fehlbildungen (Geburtsfehler), weil in dieser Zeit die Organe und Gliedmaßen angelegt werden. Für jede Organanlage existiert ein sensibles Zeitfenster, meist kurz bevor die betreffende Organanla- ge sich ausgebildet hat (siehe Infobox 1),

6 Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe de Apothek kammer Westfalen-Lippe

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