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Netztechnik und -prozesse

Netztechnik und -prozesse

50,2 Magazin | 07.2022

50,2 Magazin | 07.2022

Autark geregelt

Praxistest im städtischen und ländlichen Raum

häufig abends geladen werden. „Laut Standardlastprofil ist dies der Zeitpunkt der Hauptlast. Wenn der Netzbetreiber die flexible Last Elektroauto auf das Zeitfenster mit Energieüberschuss verschieben kann, ließe sich regional erzeugter Strom direkt nutzen“, folgert die Projektleiterin. Gleichwohl kann die abendliche Hauptlast nicht vollständig in Tagesperioden mit Energieüberschuss verlagert werden. Durch die steigende Anzahl von Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen kann das ungesteuerte Laden am Abend durch die Überlagerung zu Last spitzen führen. Mithilfe der intelligenten Steuerung reagieren die FLAIR 2 -Module auf die aktiven Verbraucher und verhindern, dass lokale Netze überlastet werden. Flexible Steuerung minimiert Spannungssprünge Schalten mehrere Verbrauchseinrichtungen in einem Ortsnetz zeit gleich ab – zum Beispiel Wärmepumpen oder Speicherheizungen – können kurzfristig Spannungsänderungen auftreten. Nach Er fahrung von LEW Verteilnetz liegt dies an Steuerungseinrichtungen mit festen Sperrzeiten, zum Beispiel Zeitschaltuhren. Erhöht sich die Anzahl ähnlich fest gesteuerter Verbraucher in einem Netzab schnitt, belastet dies die lokale Netzinfrastruktur. FLAIR² verhin dere durch eine der Netzsituation angepassten Steuerung das zeit gleiche Takten von Lasten und mildert somit Spannungssprünge. Algorithmus lernt dazu Die autark arbeitende FLAIR 2 -Steuerbox analysiert die Situation im lokalen Netz und erstellt individuelle Fahrpläne für die Verbrauchs einrichtungen in einem Haushalt. Je mehr Messdaten im Jahres verlauf des Feldversuchs gesammelt und analysiert werden, desto mehr lernt der Algorithmus dazu. „Dadurch können flexible Ver brauchseinrichtungen effizienter und zielgerichteter gesperrt wer den. Der Algorithmus ist so programmiert, dass er die jeweils ver traglich vereinbarten Freigabe- und Mindestladezeiten einhält“, erläutert Sonja Baumgartner. Nach einem halben Jahr Datenerhebung ist das FLAIR²-Modul und der aktuelle Feldversuch in die nächste Projektphase gestar tet: die stückweise Aktivierung aller verbauten FLAIR²-Module. „Wir

Im ersten FLAIR-Projekt 2018 wurden zunächst die grundsätzliche Funktionalität des Moduls getestet sowie erste Verbrauchsdaten von fünf Haushalten gesammelt. In der Feldphase des Nachfolge projekts FLAIR² wird das optimierte Steuerungsmodul seit Dezem ber 2021 bei mehr als 70 Haushalten eingesetzt. Die Testhaushalte verteilen sich auf das städtisch geprägte Berliner Stromnetz sowie auf das eher ländliche LEW Verteilnetz im Südwesten Bayerns. „Da bei sind nicht nur die Art und Anzahl der flexiblen Verbrauchsein richtungen wie E-Ladesäulen oder Wärmepumpen, sondern auch die Nutzungsgewohnheiten der einzelnen Haushalte relevant“, er klärt Sonja Baumgartner. Unterschiedliche Netzsituation Die Analyse der im Feldversuch im ersten Halbjahr generierten Messdaten zeige, dass sich die Netzsituation – das Verhältnis von Last zu Erzeugung – bereits in einem Straßenzug deutlich unter scheiden könne, wie die Projektleiterin ausführt. „Ein dezentrales Lastmanagement wie FLAIR 2 kann darauf situationsgerecht, dis kriminierungsfrei und ohne Kommunikationsaufwand netzdienlich Einfluss nehmen und dabei vertraglich vereinbarte Freigabe- und Mindestladezeiten berücksichtigen.“ Effiziente Steuerung Weiterhin zeigen die Daten unterschiedliche Kombinationen aus Verbrauchs- und Erzeugungsanlagen. Daraus ergeben sich indivi duelle Lastprofile, mit denen das FLAIR 2 -Modul umgehen muss. Sonja Baumgartner: „Je nach Art der Lasten beziehungsweise Er zeugungsanlagen im Haushalt und dem Nutzerverhalten variiert der Verbrauch sowohl zeitlich als auch in der Höhe. Das Lastprofil eines Haushalts mit Speicherheizung beispielsweise weicht deut lich von dem eines mit Wärmepumpe und Photovoltaik

Im Forschungsprojekt FLAIR 2 erproben meh rere Partner eine Lösung, die steuerbare Verbrauchseinrichtungen allein anhand der Netzspannung regelt. Das Konzept könnte im heute bestehenden rechtlich-regulatori schen Rahmen umgesetzt werden. M it der wachsenden Anzahl an Elektroautos und der zuneh menden Elektrifizierung der Wärmeversorgung steigt die Gefahr von Engpässen in den Verteilnetzen. Gleichzeitig wächst in den betroffenen Ortsnetzen das Potenzial für Lastma nagement. Im Forschungsprojekt FLAIR 2 (Flexible Anlagen intelli gent regeln) untersuchen LEW Verteilnetz (LVN), Stromnetz Berlin, das Institut für Nachhaltige Energiesysteme ISES an der Hochschule München und der Mobilfunknetzbetreiber e*Message, wie diese Potenziale mit einer autark arbeitenden Steuerbox (StromPager DX) inklusive FLAIR²-Modul erschlossen werden können. „Das Be sondere an diesem Projekt ist, dass die FLAIR 2 -Module allein auf Basis der Netzspannung netzdienlich arbeiten. Sie sind auf keine Kommunikation mit einer Netzleitstelle oder anderer Infrastruktur angewiesen“, schildert Projektleiterin Sonja Baumgartner von LEW Verteilnetz.

Mit der entwickelten Steuerungslösung sollen steuerbare Verbrauchseinrich tungen den vor Ort erzeugten Stromüberschuss gezielt nutzen können. (Grafik: LEW Verteilnetz GmbH)

hatten bisher nur simuliert, wie das Modul in den unterschiedlichen Lastsituationen reagieren würde. Nun werden die flexiblen Lasten in den teilnehmenden Haushalten aktiv gesteuert.“ Rechtlicher Rahmen bereits vorhanden Die rechtliche Grundlage für die Umsetzung des dezentralen Last managementkonzepts ist in Deutschland durch §14a EnWG be reits gegeben. Damit können Verteilnetzbetreiber regelbare Lasten netzdienlich steuern, im Gegenzug erhalten Kund:innen reduzierte Netzentgelte. Vor allem bei den Wärmepumpen ist der vergünstige Wärmestromtarif der Projektleiterin zufolge deutschlandweit etab liert. „Der FLAIR 2 -Algorithmus hält sich an diese Rahmenbedingun gen, kann bei gesetzlichen Änderungen entsprechend angepasst werden und steuert die Lasten bestmöglich für das Netz.“ Eigenverbrauch optimieren Neben den Vorteilen für Netzbetreiber ermöglicht es das Konzept den Kund:innen, ihren selbst erzeugten Strom effizienter zu nutzen. Das FLAIR 2 -Modul übernimmt damit Grundfunktionen einer Heim automatisierung. Falls vorhanden, können die Kund:innen mithilfe eines Home Energy Management Systems selbst entscheiden, wel che Verbrauchseinrichtung gerade Priorität haben sollen. „FLAIR 2 bietet einen vielversprechenden Ansatz, um die Effizienz einer dezentralen Steuerung mit einer autark arbeitenden Steuerbox als sichere Rückfallebene zu verbinden. Wir können damit gleich mehrere Ziele erreichen: Engpässe vermeiden, Leistungsspitzen ab mildern und das System insgesamt unempfindlicher machen. Sol che Lösungen nutzen bestehende Netzkapazitäten und können so dazu beitragen, Netzausbau zu verzögern oder sogar zu vermeiden. Sie können ein Baustein des dezentral und regenerativ aufgestell ten Energiesystems sein“, resümiert Sonja Baumgartner. (ds) www.lew-verteilnetz.de

Anlage ab. Beide Haushaltstypen können mit dem FLAIR 2 -Modul bereits heute unter Einhaltung der bestehenden vertraglichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen netzdienlich gesteuert werden.“ Aus der Menge von Lastprofilen, die der Feldversuch liefert, lassen sich LVN

Nahaufnahme des FLAIR 2 -Moduls. (Foto: LEW Verteilnetz GmbH / Timian Hopf)

zufolge wesentliche Szenarien ableiten, in denen eine FLAIR 2 -Steuerung bestehende Netzkapazitäten optimal auslaste. Verbrauch verlagern, Lastspitzen reduzieren PV-Anlagen erzeugen typischerweise in den Mittagsstunden einen Ener gieüberschuss. Die Messdaten ver

anschaulichen, dass Elektrofahr zeuge parallel zur Wärmepumpe

Bei den teilnehmenden Haushalten wurde das FLAIR 2 -Modul in einen Zähler schrank eingebaut. (Foto: LEW Verteilnetz GmbH / Sonja Baumgartner)

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