Blickpunkt Schule 3/2022

Musikalische Grundschule: Grundlegende pädagogische Elemen- te der musikalischen Praxis waren mit den vorhandenen Abstandsregeln nicht durchführbar: • Ritualisierter Morgenkreis mit mu- sikalischen Elementen (Gesang, Rhythmik und Bewegung) musste über den gesamten Zeitraum ent- fallen. • Gemeinschaftliche und verbinden- de musikalische Erlebnisse, die im gesamten Schuljahr durchgeführt werden, waren nicht möglich. • Die Folge ist, dass Grundschüler in dieser Zeit das Singen oder den Umgang mit ihrer eigenen Stimme völlig verlernt haben – man stelle sich einen Muskel vor, der über ei- nen Zeitraum von zwei Jahren nicht bewegt wurde! Zusammenspiel Musik: (Kooperation von Grundschulen, Sekundarstufe I und Musikschulen) • Die Abstandsregeln beeinträchtigen die Kooperationen zwischen allge- meinbildender Schule und Musik- schule und erschwerten die Arbeit unverhältnismäßig. Den Grund- schulkindern fehlten die Vorbilder von singenden und mit Blasinstru- menten musizierenden Gruppen für das kommende Jahr. Im Bewusstsein der Grundschüle- rinnen und Grundschüler war das musikalische Miteinander nicht mehr existent. Schulen mit Schwerpunkt Musik: (Gesamtschulen, Gymnasien) • Die meisten Schulen hatten auf- grund ihrer Infrastruktur keine Möglichkeiten, Bläser- oder Chor- proben weder in unterschiedlichen Räumen noch im Freien zu veran- stalten. • Die Arbeitsgemeinschaften konn- ten zum großen Teil nicht mehr auf- rechterhalten werden. • Kulturelle Initiativen, die von den Schulen ausgehen, konnten eben- falls nicht fortgeführt werden. Schulen in Hessen musizieren: • Der Bundesverband Musikunterricht/ LV Hessen führt seit über dreißig Jahren in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Kultusministerium Re-

gionalveranstaltungen in zehn hes- sischen Orten von Kassel bis Erbach im Odenwald durch. In diesen Orten nehmen jährlich insgesamt etwa 4000 Schülerinnen und Schüler von schulischen Chor- und Instru- mentalgruppen aller Besetzungen, Altersstufen und Schulformen teil und stellen einander musikalisch vor. Sieben Ensembles (rund 500 Ak- teure) aus diesen zehn Begeg- nungsorten werden jedes Jahr zu einem hessischen Landeskonzert ins Kurhaus nach Wiesbaden ein- geladen und präsentieren sich dort einer großen Öffentlichkeit. • Diese Regionalveranstaltungen und das Landeskonzert von 2020 bis 2022 mussten auch entfallen, weil Ensembles und Chöre keine Mög- lichkeit zum Proben hatten. Perspektive für einen Neustart »Musikalische Bildung hat, wer eigene musikalische Gedanken angemessen ausdrücken, fremde darstellen und verstehen sowie beide beurteilen und ggf. verän- dern kann.« Die musikalische und kulturelle Arbeit hat in der Vergangenheit an vielen Schulen sehr gelitten. Allen Fachbe- reichen Musik sollte vonseiten der Schulleitungen und der Kollegien die Möglichkeit zu einemWiederaufbau bzw. zur Wiederherstellung der musi- kalischen Praxis gegeben werden. Kooperationen mit Musikschulen und anderen außerschulischen Part- nern müssen wieder- und neu belebt werden. Dieser Neustart inklusive Neuauf- bau nach der Pandemie benötigt nach Einschätzung des BMU und der be- troffenen Kolleginnen und Kollegen Jahre. Die Werte und die persönlichkeits- bildenden Aspekte von musikalischer und kultureller Bildung sind in unse- rem Land wichtig für die Teilhabe an W. Gruhn, Lernziel Musik, Perspektiven einer neuen theoretischen Grundlegung des Musikunterrichts, S. 120

gesellschaftlicher Integration für Menschen jeden Alters und jeder Her- kunft. Musikalische und kulturelle Bildung auf vielfältige Weise zu erfahren, er- möglicht Schülerinnen und Schülern, ein Gefühl der Dazugehörigkeit zu er- leben. Sie lernen gemeinsam intensive Arbeitsprozesse und den Prozess von Leistung im positiven Sinne sowie Werte und Ideale kennen. Sie erfahren Kultur(en) und Traditi- on und können dies mit ihrer eigenen persönlichen Geschichte verknüpfen. »Musikalische Identität einer Kul- tur gründet sich auf spezifisches musikalisches Material, das ei- nerseits für die Mitglieder einer Kultur eine gemeinsame Verstän- digungsbasis darstellt, anderer- seits eine historische Entwicklung durchlaufen hat und somit auch Traditionen begründet und Konti- nuitäten sichert. In diesem Falle wäre kulturelle Identität substan- ziell bestimmbar.« Albrecht von Massow (Weimar-Jena) und Wolfgang Auhagen (Halle), ’Kultur und Identität’, S.46 Durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur und der Wahrneh- mung einer eigenen kulturellen Iden- tität werden sich junge Menschen auch für andere Kulturen öffnen und interessieren. Dafür gibt es hervorragende Bei- spiele an vielen Schulen, die mit ihren Orchestern, Chören, Big Bands viel- fältige Austausche mit Partnerschu- len im europäischen Ausland und so- gar darüber hinaus gepflegt haben. Alle Jugendlichen berichten, dass sie solche Erfahrungen über ihre Schul- zeit hinaus geprägt haben. »Es ist kaum zu bezweifeln und gilt aus unterschiedlichen Diszip- linen (zum Beispiel Musikethno- logie, Musikpsychologie) als hin- länglich erwiesen, dass der Um- gang mit Musik Teil des Mensch- seins ist. Damit wird sie über offi-

Kulturelle Bildung

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SCHULE

zielle Bekundungen (wie etwa seitens der UNESCO) zu einem Grundrecht.«

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