Blickpunkt Schule 3/2021

deutsch-jüdischen Wortschatz ein- führt. Wolffsohn spricht hier eine Sprache, gelegentlich auch jugend- lich-flapsig, wie man es sich von He- ranwachsenden wünscht. Insofern ist das Buch zugleich Sprachunterricht im besten Sinn des Wortes. Empathie vermittelnd ist das Buch dort, wo Wolffsohn – mit mehr als sechzig Bildern veranschaulicht – die Erfahrungen vermittelt, die seine Großeltern und seine Eltern bis 1939 und mit ihrer Emigration in Hitler- Deutschland erleben mussten oder auch im positiven Sinn erleben durf- ten: in der Schule, im öffentlichen und im geschäftlichen Leben, bei der Aus- reise aus Deutschland, aber auch als nicht nur Willkommene im damaligen Palästina, später in Auseinanderset- zungen umWiedergutmachung für Güter, die vom NS-Regime enteignet wurden. »A nliegen des Buchs ist es, die erzwungenen Veränderungen und ihre Folgen für Schule und alle daran Beteiligten zu beschreiben, um zu ver- stehen, was eigentlich passiert ist und was sich verändern muss.« Michael Becker-Mrotzek (Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache) und Kai Maaz (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation) erklären mit diesen Worten, warum sie ge- meinsammit einer Reihe von Bil- dungsexpertinnen und Bildungsex- perten die Auswirkungen der pande- miebedingten Schulschließungen im Frühjahr 2020 und zum Jahreswech- sel 2020/2021 analysiert und Gedan- ken zu einer nachhaltigen Strategie für die Zukunft von Schule entwickelt haben. Dabei werden wissenschaftli- che Erkenntnisse und Thesen allge- meinverständlich aufbereitet, sodass der Text sich flüssig lesen lässt. Auf die Schilderung der Situation in Schu-

Topaktuell wird das Buch zum Ende hin, wo es um ’Judenhass heute’ geht. Die Beispiele, die Wolffsohn hier zu berichten weiß, sind erschreckend, auch die Erlebnisse seiner bald 100- jährigen Mutter Thea, die dergleichen 2014 als 92-Jährige in Berlin erleben musste. Wolffsohn nimmt solche Bei- spiele zum Anlass, für ein Verstehen, für eine wechselseitige Achtung ver- schiedener Ethnien, verschiedener Religionen zumal des Christentums, des Judentums und des Islams zu werben. Es ist dem Buch gerade in den ge- nannten Altersgruppen eine große Leserschaft zu wünschen. Und den in- teressierten Lehrern die Courage, die- ses Buch auch in Klassen mit multi- ethnischer Zusammensetzung lesen zu lassen und zu besprechen. Josef Kraus, von 1987 bis 2017 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes len und Elternhäusern während der ersten und zweiten Welle der COVID- 19-Pandemie, in der auf verschiedene teils neue Fachbegriffe wie ’Distan- zunterricht’ eingegangen wird, folgt die Darstellung unterschiedlicher Er- fahrungen anhand von Gesprächen, die mit einer Mutter, einer Schülerin, einer Lehrerin, einem Schulleiter und einem Bildungsexperten geführt wur- den. Ein Blick auf die Strukturen un- seres Bildungssystems, welche die Rahmenbedingungen setzen und die Handlungsmöglichkeiten vorprägen, begrenzen und erweitern, schließt sich an. Dabei werden strukturelle Spannungsfelder, wie etwa zwischen dem föderalen Aufbau des Bildungs- systems und der pandemiebedingten Notwendigkeit gemeinsam abge- stimmten Handelns, herausgearbeitet und die Frage gestellt, wie eine zu- kunftsfähige Ausrichtung aussehen sollte. Im nächsten Kapitel wird auf die Bedeutung von Qualität im Bildungs-

in jeder Hinsicht glaubhaft und spon- tan Empathie erzeugend. Es ist ein liebevolles Buch, eine Hommage des Autors an seine Familie, die aus Bam- berg und Berlin stammt. Es ist ein Buch ohne jede Eitelkeit; der Autor schreibt auch kaum über sich selbst, nicht einmal darüber, dass er nach dem Abitur in Berlin 1967 für drei Jah- re nach Israel ging, um dort den drei- jährigen Pflichtwehrdienst abzuleis- ten, und das unmittelbar im Anschluss an den ’Sechstagekrieg’ vom Juni 1967, dem dritten arabisch-israeli- schen Krieg. Das historische Gerüst des Buches sind, wie am Ende des Buches in Zeit- tafeln dargestellt, die Ereignisse von 1919 bis Mitte der 1960er-Jahre: Wei- marer Republik, Machtergreifung, Rassengesetze, Pogromnacht, Shoa, Weltkrieg, Kapitulation, Wiederannä- herung der Bundesrepublik und Isra- els mit Adenauer und Ben Gurion. Pa- rallel dazu, ebenfalls in einer Zeittafel dokumentiert: die Geschichte Palästi- nas bzw. Israels. Das Buch sollte Eingang in den Schulunterricht finden – im Besonde- ren in den Fächern Deutsch, Ge- schichte, aber auch Religionslehre/ Ethik. Und zwar als Klassenlektüre vor allem der sechsten bis achten Jahrgangsstufen, also für Heran- wachsende zwischen dem zwölften und vierzehnten Lebensjahr. Die ge- nannte Altersgruppe ist die, in der man bei Kindern und Jugendlichen genügend historisches Denken vo- raussetzen kann, zumal die Lehrpläne der genannten Fächer hier einiges hergeben. Für diese Verwendung kann man demVerlag nur empfehlen, auch eine preiswerte Taschenbuch- ausgabe aufzulegen. Weiter zum Buch: Der Wissen- schaftler Wolffsohn kann überzeu- gend altersgerecht schreiben. Da merkt man ihm die vielen Gespräche mit seinen Enkeln Anna, Noah, Talina, Eva und Jonathan an. Seine Sprache ist nicht kindlich, sondern sehr an- spruchsvoll, der Satzbau dennoch überschaubar, der Wortschatz berei- chernd, vor allem auch, wenn Wolff- sohn an Beispielen hebräischen und

Rezensionen

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Schule weiter denken Was wir aus der Pandemie lernen

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