Hör zu und sag's richtig!

Unter den Kindern, bei denen Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten beob- achtet werden, sind immer wieder auch solche zu finden, die vor der Einschu- lung Schwierigkeiten in der Sprachentwicklung hatten. Die in diesem Heft beschriebenen Übungen sind vornehmlich für Kinder gedacht, die Schwie- rigkeiten beim Heraushören und Unterscheiden von Lauten haben (auditive Analyse). Diese Übungen sind also nicht für alle Kinder bei Lese- und/oder Rechtschreibschwierigkeiten sinnvoll (siehe Kapitel 2). Es gibt Kinder, die erst spät sprechen lernen und auch noch mit fünf Jahren bestimmte Laute und Lautverbindungen nicht bilden können. Manche Kinder sprechen noch lange in einer unverständlichen Babysprache. Sie sind nicht in der Lage, die richtige Lautfolge für ein Wort herzustellen. Einigen Kindern ge- lingt die feine Abstimmung der Muskelbewegungen der Artikulationsorgane nicht (Zunge, Kehlkopf, Mund und Lippen) – sie ersetzen einen bestimmten Laut durch einen anderen (z. B. d durch t oder g durch k ). Andere Kinder können die Gedanken und die Sprache noch nicht koordinieren: Sie sprechen hektisch und schnell, ihre Sprache klingt undeutlich und gelegentlich lassen sie Wortteile oder ganze Wörter weg. Wieder andere Kinder sprechen noch lange in grammatisch unrichtigen Sätzen. Einige Sprachschwierigkeiten scheinen mit der Spezialisierung der beiden Ge- hirnhälften zusammenzuhängen (simultane vs. sequenzielle Verarbeitung). Sie entstehen dann dadurch, dass es dem Gehirn noch nicht perfekt gelingt, die zum Sprechen notwendigen Muskelbewegungen genau aufeinander abzustim- men (Zunge, Kehlkopf, Lippen etc.): Die Kinder verstehen zwar, was gesagt wird, und haben auch die Antwort richtig „im Kopf“. Sie können die Wörter je- doch nicht richtig artikulieren. Ihr Problem ist also kein Hörproblem! Vielmehr gelingt es ihnen nicht, richtig Gehörtes in passende Lautfolgen zu zerlegen. Beim Lesenlernen weisen einige Kinder ähnliche Schwierigkeiten auf: Es gibt Kinder, denen es nicht gelingt, Buchstaben zu einem Wort zusammenzuzie- hen. Einzeln können sie die verschiedenen Buchstaben lesen – es fällt ihnen dann aber schwer, aus einer Buchstabenfolge ein Wort zu bilden. Ähnliches lässt sich (meist bei denselben Kindern) auch beim Schreibenlernen beobachten. Hier gelingt es einigen Kindern nicht immer, die richtige Buch- stabenfolge eines Wortes aufzuschreiben: Einzelne Buchstaben werden ausge- lassen oder vertauscht und manche Kinder reihen Buchstaben aneinander, die gar nicht oder nur wenig mit dem gesprochenen Wort übereinstimmen.

Die Zeitspanne der Entwicklung der Sprache ist sehr groß und nicht alles, was Kinder spät entwickeln, ist auch „verspätet“. Wir wissen heute noch recht wenig über die Prozesse, die in unserem Gehirn ablaufen, wenn wir sprechen. Wir wissen auch noch recht wenig darüber, warum es bei manchen Kindern in der Sprachent- wicklung zu Schwierigkeiten kommt.

Im nächsten Kapitel ist beschrieben, wie sich feststellen lässt, ob die Übungen zur lautsprachlichen Durchgliederung von Wörtern für ein Kind hilfreich sind.

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