Blickpunkt Schule 2/2022

Adaptives Sprachangebot –Wie sprechen Lehrerinnen und Lehrer?

brauch von LehrerInnen im Unterricht von der Grundschule (GS) über die Unterstufe (US) bis in die Mittelstufe (MS) und Oberstufe (OS) des Gymna- siums untersucht. Das Ergebnis: Leh- rerinnen und Lehrer passen ihren Sprachgebrauch bis in die Grammatik hinein dem Könnensniveau ihrer Schülerinnen und Schüler an. Dabei sind sie mit ihrem Sprachangebot den Schülern immer einen Schritt voraus, bieten also ein Sprachniveau, das die SchülerInnen selbst noch nicht pro- duktiv verwenden, aber als Nächstes erreichen können. Das zeigt sich auf allen Ebenen der Sprache, zum Bei- spiel auch imWortschatz. Dabei kommt es aber ganz offenkundig nicht auf die einzelnen Wörter an, sondern auf die erworbenen Wortbil- dungstypen (vgl. auch Augst 2019/2021, S. 23 ff.), die in engem Zusammenhang mit Funktionen der Bildungssprache stehen, so etwa auch schwierige nominale Ableitungen wie Häufigkeit, Vererbung, Isolation . Deutsche Akademie 2021, S. 82). Das heißt, die Schüleräußerung wird auf einem stärker bildungssprachlichen Niveau reformuliert; kein sogenanntes ’Lehrerecho’, sondern ein erweiteres Sprachangebot, das den Erwerb for- dert. Erwerbsrelevant ist aber nicht nur das Angebot, sondern auch die Nach- frage: Vivien Heller und Miriam Morek zeigen im Akademiebericht, dass Lehrkräfte die Schülerinnen und Schüler sehr unterschiedlich sprach- lich fordern. Legen sie Wert auf Schü- lerantworten, die primär zu ihrer knappen Zeit für den Unterricht pas- sen oder setzen sie »globale Zug- zwänge« für Schülerantworten? Das heißt, ermuntern sie die Schüler, einen Sachzusammenhang in größeren »Äußerungspaketen« erklärend oder begründend darzustellen? Als Beispiel

für eine solche Forderung zitieren sie die Lehrerfrage: »Was ist dämmern? Wer kann erklären, was dämmern ist?« (vgl. Deutsche Akademie 2021, S. 54). Individuell und auch im Schul- artenvergleich gibt es große Unter- schiede in der Menge der durch Lehrer etablierten »globalen Zugzwänge« je Unterrichtsstunde (vgl. ebd. S. 55). Transformationsaufgaben stellen: Von der Nähe- zur Distanzsprache Wenn die Entwicklung konzeptionel- ler Schriftlichkeit ein wesentliches Kennzeichen bildungssprachlicher Kompetenz ist, sollten vermehrt Auf- gaben gestellt werden, die diesen Prozess unterstützen. Wie können die sprachlichen Transformationen initi- iert werden, die auf demWeg von sprachlicher Nähe- zu sprachlicher Distanzkommunikation notwendig sind? Bekannt geworden ist dafür ei- ne didaktische Konstellation, die methodisch dafür drei Phasen vor- sieht. In der Ausgangssituation wird in Schülergruppen mündlich zu einer Beobachtungs- oder Analyseaufgabe kommuniziert. Das kann eine Beob- achtungsaufgabe im naturkundlichen Unterricht oder auch das Sprechen über ein Gedicht im Deutschunter- richt sein. Im nächsten Schritt werden die Be- obachtungen und Ergebnisse aus ver- schiedenen Gruppenarbeiten dann den Mitschülern im Klassenzusam- menhang mündlich berichtet. Hier liegt bereits eine Distanzierung von der Ausgangssituation vor. Im dritten Schritt schließlich sollen die Beobachtungen und die daraus erwachsenen Erklärungen zusammen mit den Ergebnissen der Diskussion im Klassenzusammenhang in einem schriftlichen Bericht zusammenfas- send dargestellt werden. Hier liegt dann eine vollständige Ablösung des Sprachgebrauchs von der Ausgangs- situation vor; außerdem ist nun der Adressat ein allgemeines und unbe- kanntes Publikum, das selbst kein Vorwissen zu den Beoachtungen und der Diskussion hat. Es liegt also eine distanzierte Kommunikationssituati-

Dies ist ein in der jüngsten Forschung stark beachteter Punkt. Mit welcher Sprache werden Schülerinnen und Schüler in der Schule konfrontiert, et- wa in Arbeitsmaterialien und Lehr- werken, und wie ist diese Sprache auf ihren Erwerbsstand bildungssprachli- cher Fähigkeiten bezogen (vgl. zum Beispiel Berendes u.a. 2018)? Ein in diesem Zusammenhang leider viel zu lange vernachlässigter Faktor ist der Sprachgebrauch der Lehrerinnen und Lehrer selbst. Um das Schlagwort der bekannten Hattie-Studie zu zitieren, – es kommt tatsächlich auf die Lehre- rinnen und Lehrer an (Hattie 2009), und das gilt gerade auch für deren Sprachgebrauch in der Klasse. In einer preisgekrönten Fallstudie, die auch im zitierten Akademiebericht vorgestellt wird, hat Katrin Klein- schmidt-Schinke (Deutsche Akade- mie 2021, S. 63-90) den Sprachge- Die Darstellung in Abbildung 5 – hier aus dem erwähnten Bericht zur Lage der deutschen Sprache in den Schulen (Deutsche Akademie 2021, S. 77) – zeigt: Die Lehrkräfte liegen in ihrem Gebrauch stets etwas über dem der Schüler, die dann günstigenfalls die- ses Niveau auf der nächsten Stufe ih- rer Entwicklung erreichen. Lehrerin- nen und Lehrer sind also so etwas wie lebende Modelle oder Vorbilder für die angestrebten bildungssprachlichen Fähigkeiten der Schüler. Kleinschmidt- Schinke hat auch untersucht, wie die Lehrkräfte Äußerungen der Schülerin- nen und Schüler aufgreifen, erwei- tern, reformulieren und umformulie- ren . In mehr als 56 Prozent bis bei ei- nigen Klassen zu über 80 Prozent aller ausgewerteten Fälle ist die Lehrer- äußerung distanzsprachlicher als die vorhergehende Schüleräußerung (vgl.

10 Sprache – Bildung – Denken SCHULE

Abbildung 5: Lehrpersonen als Modelle für den Sprachgebrauch von Schülerinnen und Schülern (vgl. Deutsche Akademie 2021, S. 77)

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