Blickpunkt Schule 2/2022

sprache gebraucht wird und in denen sie entsteht. Für den schulischen Lernerfolg wer- den also sprachliche Kompetenzen gebraucht, die die Schule selbst erst ausbilden muss. Diese Einsicht steht im Brennpunkt der Diskussion zur Bil- dungssprache. Dabei erweist sich die bildungssprachliche Kompetenz als ein wichtiger Schlüssel zum Lerner- folg auch in Fächern wie der Mathe- matik, Musik oder Physik, die – nur auf den ersten Blick – wenig mit Spra- che zu tun zu haben scheinen. Ein ak- tueller Forschungsüberblick dazu be- richtet »substantielle Korrelationen zwischen sprachlichen Kompetenzen und fachlichem Lernen« (Kempert u.a. 2019, S. 7). Eine neuere experi- mentelle Untersuchung von 173 Grundschulkindern des 4. Schuljahrs aus 11 bayerischen Grundschulklassen hat vergleichend die Vorhersagekraft a) allgemeiner kognitiver Fähigkeiten, b) allgemeiner Wortschatzkompeten- zen und c) spezifisch bildungssprach- licher Wortschatzkompetenzen für die Schulnoten in vier Fächern (Mathe- matik, Lesen, Schreiben, Gemein- schaftskunde) untersucht. Dabei konnte die Leistung im bildungs- sprachlichen Wortschatztest (unter Ausschluss des Fachvokabulars!) die Schulnoten in allen vier Fächern am besten vorhersagen (Schuth u.a. 2017). Das heißt, die Relevanz der bil- dungssprachlichen Kompetenz für den Schulerfolg zeigt sich bereits im 4. Schuljahr und damit zu einem Zeit- punkt, der für die weitere Bildungs- laufbahn entscheidend ist. 2. Was ist Bildungs- sprache? Leitvokabeln wie ’Bildungssprache’ oder auch ’Kompetenz’ sind verhei- ßungsvolle Wortmarken in der öffent- lichen Diskussion, die auf einen allge- mein empfundenen Mangel reagieren. Als internationale Schulleistungsver- gleichsstudien vor zwanzig Jahren feststellten, dass es um die Lesefä- higkeit von Schülern in Deutschland nicht gut bestellt sei, war die Forde- rung nach Förderung der Bildungs-

sprache in aller Munde. Was genau aber darunter verstanden werden kann, war alles andere als klar. Die Diskussion dazu ist durch zahlreiche unterschiedliche Positionen gekenn- zeichnet. Deshalb »steht eine eindeu- tige und operationalisierbare Definiti- on von Bildungssprache noch aus« (Kempert u.a. 2019, S. 11). Das aber ist keineswegs von vorneherein ein Man- gel, eher ein Zeichen für die Vielfalt der zu berücksichtigenden Sach- aspekte. Eine der am häufigsten zi- tierten Definitionen stammt von dem Frankfurter Sozialphilosophen Jürgen Habermas. Mittels der Bildungsspra- che, schreibt Habermas: »(…) verständigt sich ein Publikum über Angelegenheiten allgemeinen Interesses. […] Sie unterscheidet sich von der Umgangssprache durch die Disziplin des schriftlichen Ausdrucks und durch einen diffe- renzierteren, Fachliches einbezie- henden Wortschatz; andererseits unterscheidet sie sich von Fach- sprachen dadurch, daß sie grund- sätzlich für alle offensteht, die sich mit den Mitteln der allgemeinen Schulbildung ein Orientierungswis- sen verschaffen können.« (Habermas 1978, S. 330) Nach dieser funktionalen Definition vermittelt die Bildungssprache zwi- schen den Fachsprachen und der Um- gangssprache des Alltags. Sie nimmt Elemente der Fachkommunikation auf und ermöglicht eine Teilhabe des ’Pu- blikums’ an der gesellschaftlichen Kommunikation von Wissen und Bil-

dungsgehalten in der Schule, aber auch in den Massenmedien (s. Abbil- dung 2) . Habermas betont besonders die gesellschaftliche Verständigungs- funktion der Bildungssprache. Neuere Definitionsversuche beziehen dane- ben noch die bereits angesprochenen Funktionen für das Denken als kogni- tives Werkzeug und auch die Tatsache mit ein, dass die Bildungssprache in sozialer Hinsicht so etwas wie eine »Visitenkarte« für den Eintritt in sonst exklusive gesellschaftliche Status- gruppen ist. Gerade auch für die Schule gilt: Sie ist ein »symbolisches Kapital«, das Kinder etwa aus Akade- mikerfamilien häufig schon von zu- hause mitbringen, während andere damit in der Schule erstmals konfron- tiert werden. Das heißt auch, für die, denen die entsprechende Spracher- fahrung fehlt, ist sie eine Art Geheim- sprache. Deren Regeln sind oft schwer zu durchschauen und zu erwerben, was im erwähnten Akademiebericht etwa die Beiträge von Vivien Heller und Miriam Morek (Deutsche Akade- mie 2021, S. 37-62) zur Familienkom- munikation oder von Moti Mathiebe (Deutsche Akademie 2021, S. 125- 146) zum schulischen Erwerb des Schriftwortschatzes für Anleitungs- texte zeigen. Während die Bildungs- sprache für die einen vor allem eine Barriere ist, die gesellschaftliche Teil- habe verhindert, sehen sie die ande- ren als Ressource, deren Erwerb erst Teilhabe ermöglicht. Vieles spricht dafür, dass beides stimmt; in jedem

Sprache – Bildung – Denken

6

Abbildung 2: Bildungssprache: Mittler zwischen Fach- und Umgangssprache

SCHULE

Made with FlippingBook - professional solution for displaying marketing and sales documents online