Blickpunkt Schule 2/2022

Fall bedeutet dies für die allgemein- bildenden Schulen, dass die Vermitt- lung bildungssprachlicher Kompeten- zen zu ihrem Bildungsauftrag zählt. Bildungssprache ist keine Sprache wie Englisch oder Französisch mit ei- genen Formgesetzlichkeiten, auch keine einzelsprachliche Varietät etwa im Sinn eines räumlich gebundenen Dialekts. Sie ist auch keine Fachspra- che der Bildungsinstitutionen. Lin- guistisch gilt sie als ein sogenanntes »Register«. Wenn bestimmte Register der Sprache ’gezogen’ werden, heißt das auch für die Bildungssprache, dass abhängig vom Gebrauchskontext und der Handlungsfunktion bestimm- te Sprachstrukturen mit ihren Formen und Funktionen bevorzugt genutzt werden. Handlungsfunktionen sind

etwa das Berichten , das Beschreiben , das Erklären oder Argumentieren , aber die kommen freilich auch um- gangssprachlich vor. Ausschlagge- bend ist deshalb nicht die Handlungs- funktion alleine, sondern ausschlag- gebend sind Gebrauchskontexte, die eine situationsübergreifend verständ- liche, verallgemeinernde, objektivie- rende und wissensbildende Art der Darstellung fordern (vgl. Feilke 2021). Welches sind nun die strukturellen Merkmale der Bildungssprache und was leisten sie? Im Folgenden wird ein Satz aus einer Versuchsbeschreibung aus dem Biologieunterricht umge- formt; so werden wichtige grammati- sche, wortschatzbezogene und textli- che Eigenschaften der Bildungsspra- che deutlich.

wichtskraft, Zentrifugalkraft ) dar- gestellt. Das Beispiel zeigt zudem eine bildungssprachlich zentrale Texthandlung, das Definieren: »Se- dimentierung ist … das Ablagern von … unter dem Einfluss der …« Definitionen stehen am Ende viel- facher Beobachtungen und Überle- gungen. Sie generalisieren ein Wis- sen und fassen es zusammen. Welch wichtige Rolle hier auch die Grammatik spielt, kann man schon daran erkennen, dass das die defi- nierende Sequenz ( das Ablagern von … ) aus einer einzigen sehr komplexen Nominalgruppe be- steht. Dabei kennzeichnet der prä- positionale Prozedurausdruck »un- ter dem Einfluss von« innerhalb der Nominalgruppe zugleich auch wichtige kausale Zusammenhänge. Sedimentierung wird so erklärt . 6) Für Bildung wichtig ist auch, dass man weiß, wie das Gewusste einzu- ordnen und zu bewerten ist und wie sicher und verallgemeinerbar es ist. Wissen muss diskutierbar sein. Da- für braucht man die sprachlichen Mittel zum Ausdruck des Für und Wider (hier einerseits und anderer- seits ) und zum Ausdruck von Si- cherheit und Unsicherheit (hier der Konjunktiv könnte und das Adver- bial häufig ). Man kann mit dem Beispiel eine ganze Reihe bildungssprachlich zentraler Funktionen illustrieren: Situationsent- bindung, Fokussieren, Verallgemei- nern, Kategorisieren, Verdichten, De- finieren, Erklären, Erörtern . Dies alles sind Leistungen der hier gebrauchten Sprache. Insbesondere auf der Text- ebene kommen für das Erklären und Argumentieren weitere Funktionen hinzu wie Gliedern, Begründen, Exem- plifizieren, Schlussfolgern, Verglei- chen, Hervorheben, Präzisieren und Zusammenfassen (vgl. Steinhoff u.a. 2020). Hier ergibt sich ein enger Be- zug auch zu den sogenannten Opera- toren, die gleichfalls stark metatextu- ell-reflexive sprachbezogene Lern- handlungen fassen (vgl. Feilke/Rezat 2019). Die dazu gebrauchte Sprache ist nicht nur ein Zeichen für das Wis- sen, sondern sie stützt die Prozesse

8 Sprache – Bildung – Denken SCHULE

Abbildung 3: Bildungssprache: Satzgrammatik und Textgrammatik Punkte 1 bis 4 in Anlehnung an: Walther v. Hahn (1983), Fachkommunikation. Berlin/New York, S. 113 Punkte 5 bis 6, eigene Beispiele unter Rückgriff auf Wikipedia ’Sedimentation’

Einige Beobachtungen möchte ich zur Interpretation der sechs Beispiele herausgreifen: 1) Der Beobachter spricht in der ersten Person (ich) . Das Geschehen wird im Präteritum rückblickend als ein individuelles Geschehen erzählt. Die Satzverbindung mit als ist rein tem- poral. Es gibt noch keine wissensbil- denden Verallgemeinerungen. 2) Der Beobachter wird im Pronomen »man« generalisiert: Jeder kann die Beobachtung machen. Die Satzverbindung mit wenn ist kondi- tional. Sie bringt eine generalisierte Bedingung zum Ausdruck und for- muliert eine empirische Regelhaf- tigkeit. Das zeigt auch das soge- nannte generische Präsens, das eben keinen Zeitbezug hat, son- dern die Aussage zeitunabhängig verallgemeinert. 3) Hier wird das konditionale Verhält- nis zwischen beiden Aussagen

durch eine Verberststellung zum Ausdruck gebracht. Das Passiv blendet – ebenso wie das reflexive Verb zeigt sich – den Beobachter nun ganz aus. Stattdessen rückt der beobachtete Zusammenhang in den Fokus und wird zumThema. Zudem generalisiert das Passiv: Im- mer dann , wenn die Flüssigkeit ab- gegossen wird, tritt das Ereignis als Folge ein. 4) Das bisher durch ein Verb ausge- drückte Geschehen wird nun durch die Nominalisierung ’das Abgießen’ neu gefasst. Semantisch wird das Geschehen dadurch methodisch kategorisiert. 5) Nominalisierung (zum Beispiel Se- dimentierung ) und der Ausbau von Nominalgruppen sind zentrale Merkmale der Bildungssprache (vgl. Langlotz 2021). Komplexe Sachverhalte werden verdichtet etwa in Zusammensetzungen( Ge-

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