GOLF TIME 3/2022

KOLUMNE

GOLF, DIE GEISSEL DER GLÜCKSELIGKEIT

Golf vermittelt ein unsagbar quälendes Glücksgefühl, das einen durchaus an die Grenzen des menschlich Ertragbaren bringen kann. Und wieder zurück. Runde für Runde ...

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Denn was kann schwieriger sein, als das finale Ein geständnis, dass man selbst an den Tagen, an denen der beste Spieler, der in einem steckt, zum Vorschein kommt, trotzdem nur ein höchst durchschnittlicher Golfer bleibt? Vor einigen Jahren traf ich einen alten Golfkumpel wieder, der nach Neuseeland ausgewandert war, weil es dort so viele großartige Plätze gibt. Ich fragte ihn, wie oft er spielt. Seine Antwort lautete, gar nicht mehr. Warum, wollte ich wissen. Seit vielen Jahren, erklärte er, spielte er im Grunde immer die gleiche unbefrie digende Golfrunde. 85 Schläge, mal fünf mehr oder weniger. Am Tage seines 50. Geburtstags wurde ihm schlagartig bewusst, dass es nun zwangsläufig eher immer mehr Schläge werden würden. Da hängte er seine Tasche an den Nagel und fand sein Glück in der Malerei. Wenn Sie ebenfalls immer nur latent gefrustet über den Platz stapfen und sich selbst nach einer (für Ihre Verhältnisse) guten Runde mit dem Konjunktiv quä len, der in Ihren Gedanken endlos „aber wie gut wäre der Score erst gewesen, wenn …“ jammert, dann soll ten vielleicht auch Sie sich anderen Dingen zuwenden. Ja, Golf kann nachhaltig glücklich machen. Aber es kann auch ein großer Erniedriger sein. Denn Ihre Traumrunde, egal wie gut diese war, ist und bleibt der Albtraum eines vergleichbaren Zeitgenossen mit ande ren Ansprüchen – und umgekehrt! Werden doch bei jeder minimalen Verbesserung postwendend nur im mer höhere Ziele gesteckt und die Enttäuschung über den zwangsläufigen Rückfall in die Durchschnittlich keit fällt umso schmerzhafter aus. Übermäßiges Glück auf dem Golfplatz erfahren Sie nur, wenn Sie sich mit Ihrer eigenen Mittelmäßigkeit anfreunden (außer vielleicht, Sie spielen in der ab soluten Weltspitze). Denn es wird immer viel zu viele vergleichbare Golfer da draußen geben, deren Niveau nicht nur unerreichbar scheint, sondern es auch bleibt, während man selbst ewig auf der Stelle tritt. Deshalb lernen Sie, Ihre Stelle zu lieben, sonst werden Sie – wie in einem Hamsterrad gefangen – irgend wann durchdrehen. GT

olf gilt neben Stabhochsprung als koordi nationsstärkste Sportart überhaupt. Die korrekten Abläufe der Schwungbewegung sind derart komplex, dass nur ein mikros

kopisch kleiner Anteil der Spieler einen wiederhol baren, makellosen Schwung kultivieren wird. Der Rest hackt sich bis ans Ende aller Tage durch das nie endende Dickicht der Unvollkommenheit. Doch selbst wenn die Bälle wirklich irgendwann wie an der Schnur gezogen f liegen, garantiert dies mitnichten ein überragendes Ergebnis. Denn der Golfsport beinhaltet noch eine zweite, im Grunde völlig eigenständige Disziplin, das Putten. Und nicht nur das, auch das Kurzspiel stellt eine weitere, nicht weniger herausfordernde Hürde dar. Die allerdings erst dann zum Tragen kommt, wenn die Präzision bei Übung 1 nachlässt. Womit der Katze Schweif schon wieder rachentief den eigenen Gaumen kitzelt. Denn egal, ob man um den Sieg in der Nettoklasse C oder bei der Open Championship kämpft, fast bei jeder Golfrunde hakt es irgendwo. Mal ist der Putter kalt, an einem anderen Tag sind die Eisen oder Wedges unpräzise oder die ungewohnt hohe Streuung mit dem Driver verhindert Größeres. Golf ist und bleibt so verdammt schwer, dass selbst ein Superstar wie Jason Day, immerhin eine ehemalige Nummer 1 der Welt, sagt: „Ich denke morgens, mittags und abends über den Golfschwung nach.“ Kürzlich fragte jemand in einem sozialen Netzwerk die weltweite Golf-Community: „Was ist DIE größte Schwierigkeit im Golf?“ Unzählige Menschen verloren sich umgehend in ebenso vielen Diskussionsschleifen: „Ist die Perfektion des Eisenspiels unerreichbarer als die mit den Hölzern?“ oder „Sollte man einen freien Wunsch bei der guten Fee darauf verwenden, fehler los über 250 Meter abschlagen zu können, kein Grün mehr zu verfehlen oder garantiert jeden Putt aus drei Metern oder weniger zu lochen?“ Doch unter all den Versuchen, einen Aspekt des Spiels zur Königsdisziplin zu krönen, konnte ich nur einem Beitrag vorbehaltlos recht geben: „Die größte Schwierigkeit im Golf besteht darin, irgendwann die eigene Mittelmäßigkeit zu akzeptieren und trotzdem die Freude am Spiel zu behalten.“

GÖTZ SCHMIEDEHAUSEN Fanatischer Handicap 8,2-Golfer mit Hang zu unverblümter Meinungsäußerung „Die größte Schwierigkeit im Golf besteht darin, irgendwann die eigene Mittel mäßigkeit zu akzeptieren und trotzdem die Freude am Spiel zu behalten“

42 GOLF TIME | 3-2022

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